Dreiundfünfzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der „Nichts Neues unter der Sonne“-Einwurf

Liebe Einwurf-Lesende,

leider gibt es wenig Neues unter der Sonne, schon gar nicht im positiven Sinn Da ist einmal der nun schon ein Jahr dauernde Ukraine-Krieg. . „Nie wieder Krieg“ – bis weit in die 1980er Jahre hinein war das in der damaligen BRD ein politischer Konsens. Nun heißt es stattdessen „Nie wieder Krieg ohne uns“, und wenn Annalena Baerbock forsch Russland den Krieg erklärt, so wird das vielleicht als „unglückliche Formulierung“ betrachtet, im Kern aber weitestgehend akzeptiert.

Eine Antikriegsbewegung findet in Deutschland nicht statt, stattdessen weiterhin überall blaugelbe Fähnchen. Was kommt nach Panzerlieferungen – Streubomben vielleicht? Die wünscht sich jedenfalls der ukrainische Präsident, obgleich sie völkerrechtlich international geächtet sind. Doch was für ein Land ist das, dessen „unbedingter Kampfeswille“ so viel bewundert wird, und dessen Literat*innen und Musiker*innen international mit Preisen überschüttet werden (Preisverleihungen werden so zum nationalistischen Statement)?

Und wofür eigentlich diese ganzen Waffen? Es mag überraschen, aber so genau weiß das niemand. Stattdessen wird suggeriert, dass in der Ukraine auch nach einem Jahr Krieg „alle“ für den Sieg um jeden Preis wären. Doch während aus der Ukraine und auch Russland Hunderttausende desertieren, wird in Deutschland jeder Ruf nach Verhandlungen als „Vulgärpazifismus“ abgetan.

Schon seit gut einem Dreivierteljahr ist ein Buch erhältlich, in dem die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges und die kriegslüsterne deutsche Politik kritisiert werden. In der aktuellen, auch am gut sortierten Bahnhofsbuchladen erhältlichen „Graswurzelrevolution“ wird das von mir mitverfasste Buch „Nie wieder Krieg ohne uns – Deutschland und die Ukraine“ empfohlen als „Fundgrube von Sachwissen und Argumenten für die Diskussionen und Auseinandersetzungen, die wir täglich zu führen haben, wollen wir uns dem Kriegsgeschrei nicht explizit anschließen“.

Am 17.3. findet in Neustadt/ Weinstraße übrigens eine Buchvorstellung & Diskussion zum „Nie wieder Krieg ohne uns“-Buch statt. Ich verweise zum Thema auch auf meine Rubrik „Krieg & Frieden“, auf der etliche Titel zu Gewaltfreiheit, Pazifismus und Antimilitarismus zu finden sind.

Wie seit Jahrzehnten geben Armeen in aller Welt auch weiterhin Millionensummen dafür aus, dass Kriegshetze und Militarismus aufmunternd begleitet werden. So zahlen die Steuerzahlenden in Deutschland jährlich 50 Millionen Euro für Militärmusik – statt dem Militär endlich den Marsch zu blasen.

Nichts Neues unter der Sonne bietet auch die „Aufarbeitung“ der Coronapolitik, die in erster Linie – da sich nun überdeutlich viele der ergriffenen Maßnahmen als überflüssig, disfunktional und/ oder vollkommen überzogen erweisen – von beredtem Schweigen, Abwehr und abstrusen „damals konnte man das ja nicht wissen“- Reflexen gekennzeichnet ist. Doch, man konnte das wissen, will es sich nun aber, da offensichtlich ein „Gesichtsverlust“ droht, nicht offen eingestehen. Diese, gelinde gesagt „Irrtümer“ und „Versäumnisse“ betreffen nicht nur einen Karl Lauterbach, sondern nicht zuletzt auch das, was einst die gesellschaftliche „Linke“ war. Im Buch „Corona – Gegenwart und Zukunft unter dem Virus“ gehe ich umfassend auf die fatale gesellschaftliche Entwicklung während der Pandemie ein. Bis heute werden beispielsweis die PCR-Tests vollkommen unkritisch und unwissenschaftlich betrachtet.

Nicht Neues unter der Sonne – dafür noch mehr Schatten – bietet der allgegenwärtige Bürokratismus. Gerade kleinen Internet-Shops macht eh schon das 2021 novellierte deutsche „Verpackungsgesetz“ zu schaffen. Doch Bürokratie tendiert ihrem Wesen nach zur geradezu satirehaften Überspitzung. Ab 1.1.2023 muss nun für den Versand nach Österreich ein Notar bestellt werden, der die Verpackungslizensierung nach Österreich bestätigt – ganz gleich, in welchem Umfang die Lieferungen stattfinden. Die Folge: viele Shops liefern nun schlicht nicht mehr nach Österreich. „Österreich zuerst“ heißt es damit im Austro-Land, in dem so jeglicher Auslandshandel immens erschwert wird. In Zeiten der globalen Kommunikation und des immer wieder propagierten globalen Handels schließen sich die Grenzen nunmehr nicht nur für Menschen, sondern auch für Waren: die Globalisierung der Bürokratie führt so zur Selbstabschaffung der Globalisierung. Grenzenlos hingegen scheint der Ausbau der Verwaltungs-Herrschaft (nichts anderes ist Bürokratie).

Nichts Neues unter der Sonne auch für die kleinen deutschsprachigen Verlage, dafür weitere Erschwerungen beim ohnehin schweren Existenzkampf: nicht nur wird der Handel durch immer neue Verordnungen erschwert (s.o.), sondern dazu erreichen die Druck-, Papier-, Energie- und Mietkosten schwindelerregende und vielfach existenzbedrohende Höhen. Damit nicht genug: gleich mehrere Verlagsauslieferungen sind in den letzten Jahren insolvent geworden (so „Medienlogistik“ und „Hain“ in Österreich und „KNV“ und „Sova“ in Deutschland) und haben die Verlage dabei teils finanziell im Regen stehen lassen, weil fällige Auszahlungen nicht mehr möglich waren. Von diesen Entwicklungen sind kleine Verlage besonders stark betroffen, die „unabhängigen“ Independents, deren finanzielle Lage alles andere als unabhängig, sondern äußerst fragil ist.

Damit allerdings ist dann der Buchmarkt als ganzes bedroht, denn es sind die kleinen Verlag, die innovative Themen anstoßen und zuvor unbekannte Autor*innen entdecken (weshalb ich schon in meiner Anares-Zeit seit Beginn der 1990er Jahre immer gerade die Kleinverlagsprogramme offerierte) – Kleinverlage sind praktisch die Trüffelschweine, während die Großen dann die reifen Früchte ernten, wenn sich ein Trend oder ein Buch als erfolgversprechend genug erwiesen hat. Das ist nicht neu, die Dynamik des Kleinverlagssterbens nimmt aber inzwischen branchengefährdende Dimensionen an. Denn sinkende Startauflagen und steigende Buchpreise bei gleichzeitiger Kaufzurückhaltung in Krisenzeiten und existentiellen Problemen in Millionen Haushalten forcieren diese Entwicklung.

Auch für einen Versender wie den Ziegelbrenner wird die Luft dünner. Immer wieder steigende Portokosten (die sich nicht einfach in vollem Umfang weitergeben lassen), teures Verpackungsmaterial (auch wenn ich so weit möglich schon aus ökologischen Gründen recycle), immer mehr den Ertrag mindernde PayPal-Zahlungen meiner Rechnungen, der Umzug des Lagers letztes Jahr, sinkende Buchpreise in vielen antiquarischen Bereichen, steigende Rücksendungen (Deutschland gilt als „Retouren-Europameister“), steigende Energiekosten, steigende Buchhaltungskosten, steigende Kosten für die Homepage… – wer angesichts dieser Entwicklungen Rechnungsbeträge aufrunden mag, kann dies gerne tun (was ich natürlich versteuern muss). Vor allem aber freue ich mich über Menschen, die gezielt beim Ziegelbrenner shoppen, für diesen die Werbetrommel rühren und die mehr als ein Buch bestellen oder gar Sammelbestellungen organisieren. Hier schon mal die Ankündigung: ich werde nicht darum herumkommen, dieses Jahr noch meine Versandpauschalen anzuheben – bestellt also gern im März und April noch zu den jetzigen Versandkosten. Ohnehin: spart, wenn ihr sparen müsst, nicht bei Büchern. Denn sonst gibt es bald weder kleine Verlage noch Buchläden. Und auch keinen Ziegelbrenner.

Nichts Neues lassen im Jahre 3 n. C. (nach Corona) die Lesevorlieben jener Menschen erkennen, die noch Bücher lesen. Einst waren Bücher mit einem emanzipatorischen Versprechen versehen. Die katholische Kirche hatte davor so viel Angst, dass Bücher nur in einer einzig den Herrschenden zugänglichen Schrift veröffentlicht wurden: auf lateinisch. Solche Vorsichtsmaßnahmen sind nun nicht mehr nötig. Bücher werden in Krisenzeiten, in denen die CKKK=K-Formel herrscht (Corona, Klima, Krise, Krieg = Kapitalismus) nicht mehr als Anregung oder Inspiration gelesen, sondern sie dienen der Flucht aus einer Welt, in der es scheinbar nur noch schlecht Nachrichten gibt. Doch nicht diese Nachrichten sind der Skandal, sondern es sind die Überbringenden dieser Nachrichten, die angefeindet oder nach Kräften gemieden werden. So wurde der Ziegelbrenner schon häufiger der Übellaunigkeit und Miesmacherei, gar des Pessimismus bezichtigt. Buchhändler*innen berichten jedenfalls, dass die Kundschaft die schlechten Nachrichten nicht mehr hören will und lieber Liebesromane liest: „Die Leute flüchten sich mit einem Buch in eine schönere Welt“, so beispielsweise Wolfgang Bartelmann von der Starnberger „Bücherjolle“. Weltflucht statt Analyse und Kritik der bestehenden Verhältnisse oder Suchbewegungen nach einer besseren, gerechteren Welt also. Keine Spur von Kant: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Welches Verstandes, möchte man fragen in einer Zeit simplifizierender „Logiken“ á la „wer gegen Waffenlieferungen ist, ist für Putin“. Umso fataler ist diese Weltflucht in einer Zeit, da die vornehme Aufgabe guter Bücher, aufklärende Gedanken zu vermitteln(oder zum Selberdenken statt Wiederkäuen anzuregen), doch nötiger denn je wäre.

Das lässt sich in eindrucksvollen Zahlen belegen. So haben die Sachbuchumsätze des deutschen Buchhandels zwischen 2019 und 2022 insgesamt um rund 6% abgenommen (bei belletristischen Titeln gab es ein leichtes Plus). Die Umsätze mit Psychologie-, Esoterik-, Spiritualität- und Anthroposophie-Titeln haben dagegen deutlich zugelegt, so haben Astrologie-Bücher eine Steigerung von satten 137,5% erreicht. Nichts Neues unter der Sonne – stattdessen eine Flucht zu den Sternen… Immer größer ist der Anteil der Bestseller am Buchumsatz – ein paar Handvoll Titel, währen die durchschnittlichen Auflagen der mehreren Zehntausend jährlichen Neuerscheinungen immer weiter zurückgehen. Diese Entwicklung hat ihren Grund: weil aufgrund der Mechanismen des zunehmenden Online-Handelns – jedes vierte Buch wird via Internet verkauft – die Bestseller besonders stark profitieren, während im „klassischen“ Buchhandel persönliche Tipps noch für eine gewisse Diversifizierung sorgten.

Unter den Umsatzbringern sind auch belanglose Biographien von Berühmtheiten, die in einer vollkommen anderen Realität leben als die Lesenden (diese Titel erscheinen ausnahmslos bei den kapitalstarken Konzernverlagen), die Memoiren von Prinz Harry etwa. Die englische Ausgabe stößt mit ihrem Erfolg – allein am ersten Tag des Erscheinens wurde sie 1,4 Millionen mal verkauft, die deutsche Ausgabe immerhin gut 40.000 mal, an einem Tag wohlgemerkt – an die Auflage eines anderen in Traum- und Märchenwelten angesiedelten Buches: Harry Potter. Und wer kauft eigentlich Katzenkalender? In Zeiten der gläsernen Konsument*innen lässt sich das leicht herauskriegen: Frauen über 50. Muss man das wissen? Nö.

Wichtiger: in etlichen Weltregionen wird wie schon zu Zeiten der Inquisition das Buch gefürchtet. So viel Zensur wie derzeit weltweit war wohl noch nie. Auch hier gibt es im Kern nichts Neues unter der Sonne, stattdessen Zuspitzungen. So verbot der Bildungsminister Adolf (er heißt wirklich so!) Mkenda in Tansania die beliebte Comicreihe „Gregs Tagebücher“, weil dort LGBTIQ-Rechte propagiert werden. Die Regierung beruft sich in ihrer homophoben Politik gleichermaßen auf christliche wie muslimische Werte – ja, auch so geht interreligiöser Dialog, Hexenjagd und Teufelsaustreibung inklusive (so die „taz“ bereits am 4..11.2018). Geographisch muss man in Sachen Homophobie allerdings nicht bis nach Afrika. In den Niederlanden wurde der Kinderbuchautor Pim Lammers, der sich oft mit LGBTIQ-Themen befasst, einem massiven Shitstorm voller Hass unterzogen, Morddrohungen inklusive. Besonders stark trat dabei die christlich-fundamentalistische Gruppe «Familie in Gefahr» (Gezin in Gevaar) in Erscheinung.

Deutsche Unibibliotheken berichten über steigende Zahlen mutwillig beschädigter und zerstörter Bücher in ihren Beständen. In Großbritannien und den USA werden – auch hier oft unter Federführung christlich-fundamentalistischer Gruppen- gleich reihenweise Bücher aus Schulbibliotheken und öffentlichen Bibliotheken entfernt, vor allem Comics (die gelten schon immer als besonders gefährlich, siehe auch die deutschen Indizierungslisten), und hier vor allem solche, in denen es um sexuelle Selbstbestimmung geht. In der Ukraine „säubern“ Privatmenschen in großem Umfang ihre privaten Bibliotheken und geben jegliche russische Literatur, darunter Dostojewski und Tolstoi, ins Altpapier – mit dem Ertrag wird die ukrainische Armee unterstützt (taz, 23.11.2022). Armer Tolstoi, was für eine perverse Logik für einen Pazifisten. Bei diesen Entwicklungen ist es wenig erstaunlich, dass die Zahl der weltweit inhaftierten wie auch der getöteten Journalist*innen global einen neuen Höchststand erreicht hat.Es ist vor diesem Hintergrund fatal, wenn der Etat für die weltweit aktiven Goethe-Institute um mehr als 10% gekürzt werden soll. Es ist hingegen angesichts dieser Entwicklung ein Lichtblick und ein mutiger Schritt, wenn die vom 27.-30. April stattfindende diesjährige Leipziger Buchmesse ein Forum für eine offene, diverse Gesellschaft bieten will.

Bereits vergangenen Oktober verstarb Albrecht Götz von Olenhusen. Albrecht (Götz war kein zweiter Vorname, sondern Teil des Nachnamens) – oder AGVO, wie er seine Briefe oft unterzeichnete – wollte mir im vergangenen Jahr eigentlich noch Dubletten seines Raubdruckarchivs vermachen, im Tausch gegen Raubdrucke aus meinem Bestand. Vor allem: wer wird nun seine legendäre Bibliographie der Raubdrucke fortsetzen (er selbst plante dies seit Jahren). Und wer wird seine Arbeit fortführen, für die ein Menschenleben offenkundig zu kurz ist? Du fehlst. R.I.P.

Mehr „Bock auf Arbeit“ fordert(!) der deutsche Arbeitgeberpräsident (das erinnert an die Pläne der Kultusministerkonferenz, mehr Lehrer*innen zum Arbeiten gewinnen zu wollen, indem man Klassen vergrößert, Arbeitszeiten verlängert und Teilzeitarbeit verringern will). Da ist die neueste Variante einer altbekannten Melodie, á la „Es gibt kein Recht auf Faulheit“ (Gerhard Schröder, 2001). Doch! Ich empfehle dagegen das „Recht auf Faulheit“ und als Start zumindest schonmal eine kürzere Arbeitswoche und ein Innehalten.

Jüngst haben sich die Verdachtsmomente, dass der chilenische Dichter Pablo Neruda nicht eines natürlichen Todes starb, erhärtet. Zum Werk Nerudas empfehle ich aus meinem Buchbestand dieses zweisprachige Buch.

Wo bleibt das Positive? Ach ja, der Göttinger Literaturherbst verzeichnet mit 20.000 Menschen einen neuen Besucher*innen-Rekord. Nicht schlecht für eine Stadt mit nicht einmal 120.000 Menschen. Zwar geht damit eine Festivalisierung des Buchmarktes einher. So ist seit Jahren auch eine zunehmende, von den Corona-Jahren vorübergehend unterbrochene Tendenz hin zu regionalen Buchmessen – neben den beiden großen deutschen Messen in Frankfurt und Leipzig – zu beobachten. Letztlich aber kann der Buchhandel wohl nur davon profitieren, wenn das Buch mehr in die Öffentlichkeit rückt.

Was fehlt noch? Ach ja, Comics wurden, außer von Zensur-Wächter*innen, lange nicht ernstgenommen, weder als Literaturgattung noch als Kunst. Nun erreichte eine Comiczeichnung (ein Titelblatt für „Tim & Struppi“) eine Rekordsumme, über 2 Millionen Euro wurden dafür hingeblättert. Die Comic-Rubrik ist beim Ziegelbrenner, zugegeben, eher randständig. Trotzdem lohnt sie vielleicht auch mal einen Blick.

Abschließend weise ich gerne schon einmal auf dieses anarchistische Treffen hin.

Es grüßt

Der Ziegelbrenner

www.ziegelbrenner.com

info@ziegelbrenner.com

PS: wie immer darf auch dieser Einwurf gerne weitergeleitet werden. Bitte Belege bzw. Links zukommen lassen, merci!