Dreiundzwanzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Liebe Freundinnen und Freunde des gedruckten Buches,

die Zeiträume zwischen meinen Einwürfen werden länger – nicht, weil es nichts zu schreiben gäbe, sondern weil sich immer wieder andere Prioritäten in den Vordergrund schieben.

Doch das Feedback ist nach wie vor erfreulich,  zumindest das verbale („schreibst mir aus der Seele“; „Einwürfe sind ebenso gut formuliert wie durchdacht“; „Newsletter ist wieder ein Genuß“ etc.). Der freundliche Zuspruch ermuntert mich, immer wieder einmal zum Stift (bzw. zur Tastatur) zu greifen.

Dieses mal gibt es einen Kessel Buntes – der nächste Einwurf wird dann endlich auch wieder die kleine Themenreihe „Buch? Handel? Zukunft?“ in den Mittelpunkt stellen.

Zunächst einmal habe ich nochmals rund 3.000 Titel aus den bisher noch nicht bibliographierten Alt-Beständen des vormaligen Anares-Vertriebes auf die Ziegelbrenner-Homepage gestellt, aus allen Themenbereichen. Stöbern lohnt also. Schaut mal unter www.ziegelbrenner.com – da die Seite ihre Kosten noch nicht eingespielt hat, freue ich mich natürlich sehr über verstärkte Bestellungen.

Da ich mit dem Ziegelbrenner ja alleine tätig bin und mittlerweile andere Arbeitsschwerpunkte habe, zieht sich das Einpflegen von Titeln leider deutlich länger hin als ich ursprünglich hoffte (wer mich hier vor Ort z.B. mal beim Einscannen von ein paar Tausend Buchtiteln unterstützen will, möge sich melden!).

Für die FreundInnen „sozialer Medien“ (ich will diesen sprachlichen Euphemismus hier mal nicht weiter kommentieren) möchte ich noch darauf hinweisen, dass auch ich Facebook nutze – in der nächsten Zeit will ich dort nämlich täglich einen Buchtipp aus meinem Sortiment vorstellen, bis Ende des Jahres. Da wird auch so manch überraschender Hinweis dabei sein. Schaut also mal unter www.facebook.com/ziegelbrenner und liked die Seite.

Unlängst zeigte ARD die berührende Dokumentation „Ein Foto erzählt Geschichte“ über Domenica, die erste Prostituierte Deutschlands, die sich zu ihrer Arbeit öffentlich bekannte und sich selbst Sexarbeiterin nannte. Die bekanntesten Fotos von ihr sind von Günter Zint (auch das, das die ARD-Doku zum Ausgangspunkt nahm – und Bücher aus Zints Bibliothek finden sich hier: https://www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/bibliothek-guenter-zint/

Die „Stiftung Lesen“ will eigentlich allen Kindern unabhängig von ihren materiellen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen Spaß am Lesen vermitteln. Eine gute Idee. Nun hat sie AfD-PolitikerInnen wie Frauke Petry und Björn Hocke eingeladen, den lieben Kleinen etwas vorlesen. Eindeutig keine gute Idee. Die AfD nimmt an einem bundesweiten Vorlesetag teil (den „Stiftung Lesen“ mit „Zeit“ und Deutscher Bahn organisiert), der in der Tradition von humanistischem Denken, Toleranz und kultureller Vielfalt steht. Darauf, die AfD in diesem Kontext einzuladen, muss man erstmal kommen. Die „taz“ dazu: „Die Einladung suggeriert, dass die AfD eine ganz normale Partei ist. Eine solche Normalisierung aber sollte es nicht geben“. Bücher gegen derartige Normalitäten gibt´s beim Ziegelbrenner, z.B. unter https://www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/rechtsextremismus-antifaschismus/

Lesen entspannt (wenn einem nicht gerade AfD-Deppen vor die Nase gesetzt werden). Lesen entspannt sogar sehr. Mehr noch: nichts entspannt so gut wie das Lesen. Laut einer Studie, durchgeführt von Wissenschaftlern der University of Sussex, sind sechs Minuten vertieftes Lesen ausreichend, um das Stresslevel um bis zu 60 % zu senken, den Herzschlag zu verlangsamen, Muskeln zu entspannen und den Geisteszustand zu verändern. Lesen wirkt somit besser als beispielsweise Spazierengehen, Musikhören oder Teetrinken. Sogar viel besser. David Lewis von der Sussex University fand heraus: „Sich selbst in einem Buch zu verlieren, ist die ultimative Entspannung.” (Quelle: http://www.blabla.cafe/blabla/5-gruende-warum-wir-lesen-sollten/).

Entspannung ist gut, Wut manchmal aber auch. Und berechtigt. Auf die dem G20-Gipfel sowohl vorangehende wie auch folgende Hetze gegen jede Form von Protest (oder gar Widerstand), die über eine artige Latsch-Demo hinausgeht, werde ich an anderer Stelle sicher noch einmal ausführlicher eingehen. Nur kurz: man vergleiche die Berichterstattung zu G20 hierzulande einmal mit derjenigen beispielsweise über Venezuela: dort sind Demonstrierende vermummt (vor allem Wohlhabende freilich, nicht Prekarisierte), bauen Barrikaden, werfen Mollis, zünden Lastwagen an – und die EU spricht von staatlichen Menschenrechtsverletzungen, warnt die venezolanische Regierung (nicht die Demonstrierenden) vor einer „Gewalteskalation“. Bücher z.B. zur kritischen Kriminologie und gegen zunehmende Überwachung gibt´s beim Ziegelbrenner übrigens unter https://www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/kriminologie/

Wo war diese EU bei den G20-Protesten in Hamburg? Wenn es eine so entschlossene Massse wie in Venezuela gegen die Regierung in der BRD gäbe, will ich lieber nicht erleben, wie die deutsche Regierung reagiert. Da hat Hamburg schon als kleines Intermezzo gereicht, samt willkürlicher Verhaftungen (z.B. einer Parlamentarierin wegen „falscher Kleidung“), öffentlicher Denunziationsaufrufe, Scharfschützen mitten im Kneipenviertel, Folter-ähnlichen Bedingungen in der Gefangenensammelstelle etc. Ja, es sind eben Wahlkampfzeiten, und in Deutschland ist repressive, autoritäre Staatsgewalt eben etwas, das von großen Teilen des Wahlvolks beim Ausfüllen der Stimmzettel honoriert wird.

Neulich in der Innenstadt einer Großstadt: im selben Gebäude, in dem eine international tätige Wirtschaftsprüfungsfirma sitzt, welche sich nicht zuletzt mit „Firmensanierung“ und „Branchenregulierung“ befasst, sitzt auch eine namhafte Bio-Firma. Öko ist eben buchstäblich in der oberen Etage angekommen. Das passt zur Entwicklung einer Partei aus diesem Milieu, die das globale Elite-Treffen in Hamburg mit durchsetzte (und damit die dortige Polizeigewalt mit verantwortet, auch wenn sie sich dazu bis heute wegduckt). Zwischen Wirtschaft und Umwelt will diese Partei nach eigenem Bekunden (siehe die Wahlplakate mit dem Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir) kein „oder“ mehr setzen – so macht man sich zumindest koalitionsfähig mit den anderen Parteien. Und so wird eben fleißig grüngewaschen. Auch wenn, siehe Hamburg, das neue grün inzwischen blau ist.

Apropos grün: als grün noch wirklich grün war, noch vor den inzwischen arg vertrockneten Grünen, gab es bereits den „Grünen Zweig“, einen ziemlich hippiesken Verlag im Odenwald. Dort erschienen allerlei Bücher zu Themen, bei denen ich nie darauf gekommen wäre, das diese Themen wirklich einmal Thema genug für ein Buch sein könnten. Nun plant Verleger Werner Pieper ein Buch „Putzfaktisch – zwischen Putzwahn und Putzwonnen“, über – äussere wie innere – „Sauberkeit“. Dazu werden noch Informationen, Gedanken, Assoziationen, Ideen, Texthinweise gesucht. Alle Infos dazu an versand@gruenekraft.com

Der geschlechtspolitische Rollback schreitet seit einigen Jahren voran, „zielgruppenorientiertes Marketing“ kommt offenbar an: aufgehübschte rosa Prinzesschen für Mädchen, Piraten & Polizei – der Geruch von Freiheit & Abenteuer – für Jungs.  Erst kürzlich betonte der Patmos Verlag das „Gendermarketing sehr gut funktioniert“. Der Klett Verlag bekam unlängst die symbolische Quittung (den „goldenen Zaunpfahl“) für seine Reihe „Die kleinen Lesedrachen“, eine Buchreihe zum Lesenlernen, die geschlechtsspezifisch adressiert ist, wiederum inklusive der stereotypen Farbgebung rosa/ blau. Bücher, die Alternativen zum zerstörerischen globalen, kapitalistischen Ausbeutungssystem – siehe G20 -, aber auch zu fragwürdigen Identitäts- und Normierungsdiskursen bieten, finden sich natürlich nach wie vor in den verschiedenen Rubriken unter www.ziegelbrenner.com.

Es steht nicht gut um die gesellschaftlichen Zuständen. Manchmal kommt es mir wie eine gesellschaftspolitische Eiszeit vor. Trotz der sommerlichen Jahreszeit fällt mir der Ausspruch von Marguerite Yourcenar ein: „Bücher sind Getreidespeicher für den Winter des Geistes“. Die Buchläden und Verlag können etwas entsprechende Vorratshaltung allemal brauchen. Denn auch um die unabhängigen Buchläden und Verlage steht es nicht gut. Der Ventil Verlag hat es mit einem vielbeachteten Crowdfunding immerhin geschafft, sein eigenes Ziel zu übertrumpfen und über 15.000 Euro einzusammeln, um erstmal das Herbstprogramm finanziell abzusichern. Das ist erfreulich, aber sicher keine Dauerlösung – es zeigt sich der Widerspruch, das Literatur, Kultur, Bildung zwar in Sonntagsreden immer wieder gerne bemüht werden – es aber beinahe unmöglich erscheint (von wenigen Ausnahmen abgesehen), einigermaßen auskömmlich davon leben zu können. Der kürzlich verstorbene Verleger Egon Ammann (der seinen Verlag aus gesundheitlichen Gründen vor 7 Jahren einstellte) beispielsweise konnte seinen Verlag nur dank eines Mäzens über rund drei Jahrzehnte retten. Ebenso kenne ich jahrzehntealte Buchläden, die bis heute nur bestehen können, weil es gut verdienende Ehemänner oder -frauen gibt, die BetreiberInnen also nicht von den Läden leben müssen.

Jede Tantiemennachforderung kann das aus für Verlage bedeuten (auf 5 Millionen Euro Honorar verzichten deutschsprachige AutorInnen 2017, um bestehenden Verlagen das Weiterbestehen mit zu ermöglichen), jede Mieterhöhung das aus für Ladengeschäfte. So wie beim Antiquariat Herold in Berlin (siehe auch den schönen „taz“-Artikel von Gabriele Goettle dazu:  http://www.taz.de/!5430182/. „Manchmal glaube ich, wir Buchhändler sind wie Pandabären – wir sterben allmählich aus“, meinte unlängst mit bitterem Galgenhumor ein Buchhändler, der sein Geschäft aufgrund eines neuen Immobilienbesitzers – und entsprechender Mietsteigerungen – aufgeben musste.

Ohnehin ist, wer liest, in diesen Zeiten des Sicherheitswahns bereits ein Sicherheitsrisiko. Ja, Bücher sind eben gefährlich, und so wird der lesende Mensch zum Risikofaktor: So sind schon Reisende wegen „verdächtiger“ Literatur festgenommen, in Handschellen gelegt und verhört worden. Verwiesen wird auf einen Fall, bei dem es um ein Buch ging, das die US-Außenpolitik kritisiert. Im Zuge des Automated Targeting System werden seit längerem bereits persönliche Gegenstände wie eben Bücher im Gepäck in einer Datenbank gesammelt. Siehe hierzu auch den Bericht des Online-Magazins „Telepolis“: https://www.heise.de/tp/features/Auf-US-Flughaefen-werden-nun-auch-Buecher-kontrolliert-3755806.html.

Umso wichtiger, dass sich AutorInnen, Verlage, Buchhandlungen verstärkt dazu aufraffen, zu kooperieren und sich gegenseitig zu unterstützen. Ein schönes Beispiel ist das anspruchsvoll gemachte Kundenmagazin „Geistesblüten“ der Autorenbuchhandlung am Savignyplatz (Berlin), die das Magazin auch als Konterpart der Schnellebigkeit des gegenwärtigen Buchmarktes betrachtet: „In unserem Magazin finden Sie neben exklusiven Interviews und Beiträgen auch Rezensionen von Büchern, die uns begeistern. Darunter Neuerscheinungen oderTitel, die schon vor 50 Jahren erschienen und weiterhin lieferbar sind. Umso besser… Denn genau das Empfehlen dieser sogenannten Backlist ist uns wichtig. Damit stärken wir die Bemühungen der deutschsprachigen Verlage die literarische Vielfalt und Tiefe zu erhalten“. Damit schafft diese Buchhandlung es weit nach oben in der Liste meiner Lieblingsbuchhandlungen. Und was ist Eure Lieblingsbuchhandlung?

Bis zum nächsten Einwurf grüßt

Der Ziegelbrenner