Erster Einwurf des Ziegelbrenners

Was ist eigentlich Anarchie?

Anarchie ist alles und nichts. Ist es Kunst, eine Philosophie? Chaos und Barbarei? Vielleicht ist Anarchie eines Tages auch eine neue Marmeladensorte. Oder eine Pizza (weil ein paar schwarze Oliven auf der roten Tomatensoße liegen). In Bürgerkriegen „herrscht“ Anarchie. Da ist Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schon fast dicht dran mit seiner Definition: „Alle machen mit, aber keiner weiß, wohin“ – so faßte er die bundesdeutsche Energiepolitik der letzten Jahre zusammen. Und das ist, so weiß der SPD-ler, eben „Anarchie“.

Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Anarchie ist nicht Gewalt, Willkür, Herrschaft. Sondern das Gegenteil davon. Kein Gott, kein Chef, kein Staat – auf diese Formel läßt sich die Anarchie immer noch ganz gut bringen. Also auch keine Abgeordneten, keine polizeilichen Knüppelbanden, keine kapitalistische Ausbeutung. Keine Helden, kein „Deutschland sucht den Superstar“. Sondern Herrschaftslosigkeit und Selbstorganisation. Gerade das bedingt gegenseitige Hilfe, Kooperation, Verantwortlichkeit und Verbindlichkeit. Was den Endzustand angeht waren sich übrigens einst schon die Herren Marx und Bakunin einig – allerdings nicht mit bei den Methoden, und letzterer argwöhnte nicht zu unrecht, dass im angeblich historisch notwendigen Übergangsstadium wieder neue Macht entstünde. Aber das ist eine andere Geschichte. Also:

Anarchie herrscht nicht. Sie ist, gemessen an dem, was heute unter „Politik“ verstanden wird, Anti-Politik. Sie will keine anderen Herren, sondern keine. Und auch keinen „nachhaltigen“ Kapitalismus, sondern eine solidarische, basisdemokratische und selbstverwaltete Ökonomie. Und kein Durcheinander, wo keiner weiß, wo es lang geht. Vielleicht kann das mal jemand dem Herrn Gabriel sagen? Und den Medien-Schreiberlingen, die dies so unkommentiert stehen lassen? Vielen Dank!

„Für Sozialismus und Anarchismus ausgezeichnet“ wurde vor einigen Tagen ein Berliner Verlag, der mit sympathisch-augenzwinkerndem Namen versehene „Verbrecher-Verlag“, und zwar von der Kurt-Wolff-Stiftung.

Soweit die guten Nachrichten. Die traurige Nachricht: einen Tag vor der Preisverleihung verstarb die anarchistische Verlegerin Karin Kramer.

Ohne sie wüssten hierzulande vermutlich viele nicht, wer Errico Malatesta, Michael Bakunin, Emma Goldman und Louise Michel waren, und „was eigentlich Anarchie ist“ (vergleiche das entsprechende Buch des ebenfalls zu früh verstorbenen Horst Stowasser, das dort erschien).

Hoffen wir, daß der Karin Kramer Verlag weiter besteht und die nötige (siehe oben) Vemittlung anarchistischen Gedankengutes weiterhin – nicht nur von diesem Verlag – betrieben wird. Denn „Anarchismus ist keine romantische Fabel, sondern die nüchterne, auf fünftausend Jahren Erfahrung beruhende Erkenntnis, dass wir die Organisation unseres Lebens nicht Königen, Priestern, Politikern, Generälen und Bezirkspolizisten anvertrauen können“ (Edward Abbey).

Produziert, kauft und lest gute Bücher. Zu kaufen sind sie übrigens, was die Anares-Restbestände angeht, weiterhin beim Ziegelbrenner. Das nicht zuletzt Bücher von & zu B. Traven im Ziegelbrenner-Sortiment zu finden sind, versteht sich dabei von selbst.

Es grüßt Der Ziegelbrenner (ehem. Anares)