Fünfundzwanzigster Einwurf des Ziegelbrenners 

Buch? Handel? Zukunft? – Anmerkungen zur Buchkultur, Teil VIII

Neulich in einer süddeutschen Universitätsstadt: ein Antiquariat in einer 1A-Fußgängerzonenlage, über mehrere Stockwerke mit Büchern unterschiedlichster Art bis an die Decke bestückt. Und dazwischen – ja, tatsächlich: Menschen. Nicht ein oder zwei, die temporär den Antiquar vom Gähnen abhalten. Nein, der Laden ist gut gefüllt mit Menschen – nicht nur grauhaarigen Professoren und Lehrerinnen, sondern unterschiedlichsten Alters und Stils. Wie ist das möglich? Man vermeint zu träumen, sich in eine andere Zeit zurückversetzt zu fühlen (ja, Der Ziegelbrenner erinnert sich noch an Zeiten, da Studierende ganze Bücherstapel aus den Antiquariaten herausschafften!). Klar, die Geschäftslage ist exzellent, aber die muss man sich eben auch erstmal leisten können. Dass man sich nicht zu fein ist, auch LP´s, DVD´s und Comichefte zu handeln – das machen andere auch. Gegen alle gegenwärtigen Entwicklungen ist hier ein Antiquariat zu sehen, das ein Geheimnis zu wahren scheint. Wie machen die das bloß?

Keine Frage, alles in allem muss man konstantieren: das Buch steckt in einer Aufmerksamkeitskrise. In der Zeitökonomie potentieller NutzerInnen muss es mit Smartphone, Netflix, Facebook, YouTube, Twitter, WhatsApp & Co. konkurrieren. Und in der Geldbörsen-Ökonomie muss es sich den Gepflogenheiten der Generation Download stellen, die für Inhalte am liebsten gar nichts mehr zahlt.

Börsenvereins-Chef Alexander Skipsis ist trotz allem zuversichtlich, schließlich sei das Buch auch im Zeitalter von Stummfilm und Hörfunk bereits totgesagt worden: „Der Buchhandel ist zukunftsfähig“. Zukunftsfähigkeit – angesichts des inflationären Gebrauchs fast schon ein Unwort. Noch 47 % des Buchumsatzes werden in Buchhandlungen gemacht. Auch wenn dies immer noch der bedeutendste Vertriebskanal für gedruckte Bücher ist, so ist der Anteil doch deutlich rückläufig. Da, wo einst Buchläden waren, sind nun vielfach Nagelstudios, Handyläden, Pfandleihhäuser. Da klingt die Rede von der Zukunftsfähigkeit schon arg nach Zweckoptimismus: wird das Mantra nur lange genug heruntergebetet, wird schon ein Körnchen Wahrheit daran kleben bleiben.

Von der Zukunftsfähigkeit zur Nachhaltigkeit: das zum Medienkonzern Bertelsmann / Random House gehörende Gütersloher Verlagshaus produziert seine Bücher nun klimaneutral, meldete das „Börsenblatt“. Der erste klimaneutrale Buchversand im deutschsprachigen Raum war übrigens 2009 Anares, dessen Resteverwalter Der Ziegelbrenner nun ist. Genutzt hat es damals wenig, ökonomisch betrachtet. Vielleicht waren wir damals auch einfach noch zu früh damit?

Wieviel ist das Prädikat des Spiegel-Bestsellers wert? Das Magazin will auf jeden Fall künftig Geld dafür, dass Verlage mit dem Bestseller-Status werben können. Doch die Fixierung darauf, um jeden Preis Bestseller auf den Markt werfen zu wollen, ist fatal. Bücher mit mangelnder Erfolgswahrscheinlichkeit bleiben vielfach ungedruckt – bzw. landen in der Blase des Selfpublisher-Universums. Und 99 % der Bücher desselben Verlages erhalten nicht die Beachtung, die sie bräuchten, weil alle nur auf die oberen Plätze der Listen und Rankings gucken. Wenn Verlage auf Amazon-Rankings starren wie auf ein Orakel – oder wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange -, dann ist es wirklich schlecht bestellt um die Verlagslandschaft. Und die Buchläden veröden in der Folge – viel Stapelware allerorten statt Angebotstiefe.

Bestseller lassen sich nicht vorhersagen. Doch die Branche wünscht sich genau dies, auch weil die Probleme vielfältig sind: steigender Kostendruck, eine im Sinkflug befindliche Buchlaufzeit (was drei Monate nach Erscheinen floppt, wird gnadenlos verramscht), im Durchschnitt stark fallende Buchauflagen, massive Rabattforderungen von Amazon und den Buchladenketten, Gema-Nachzahlungen etc. Die klassische Mischkalkulation funktioniert nicht mehr, bei der ein Bestseller die „schwachen“ Titel mit durchgezogen hat. Entsprechend hasen- (oder kaninchen-)füßig werden die Verlage. Wagemut für neue Themen und AutorInnen wird den kleinen Verlagen überlassen. Solange es die noch gibt. Denn diese befinden sich vielfach in besonders prekärer wirtschaftlicher Lage.

Nicht nur die Amazonisierung, sondern auch die Hugendubelisierung des Buchmarktes macht derzeit den Buchäden zu schaffen – der Großbuchhändler Hugendubel darf in Zukunft die Medien der zentral- und Landesbibliothek Berlin nicht nur auswählen – er darf sie auch gleich liefern. Ganze zwei Menschen wollen dort die Kompetenz für 16 Fachgebiete haben. Lektorat und monopolistischer Lieferant zugleich, eine sehr problematische Kombination. Dabei wäre ein städtisches Beschaffungswesen kein Problem, das den Einkaufsetat auf die unterschiedlichen Läden streut, statt einen Platzhirsch des Marktes einseitig zu hofieren und dessen Marktmacht damit noch zu vergrößern.

Die Bibliodiversität zu erhalten ist also eine Herausforderung, die es auf mehreren Ebenen zu bewältigen gilt: bei den unter Druck geratenen Verlagen und Buchhandlungen ebenso wie bei jenen, die noch gedruckte Bücher kaufen – oder dies künftig tun sollen, siehe Leseförderung. Die tut not, denn mit der Lesekompetenz von SchülerInnen steht es nicht zum besten (wenig erstaunlich, dass sie laut einer internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung umso besser ist, je mehr Bücher es im Haushalt gibt). Für den Erhalt einer vielfältigen Buchkultur wie die Förderung des Lesens von Beginn an braucht es mehr Würdigung und Unterstützung, nicht nur warme Worte. Damit es auch in Zukunft noch mutige Verlage und wundervolle Buchläden gibt.

Ja, noch gibt es sie, die guten Buchhandlungen. Zum Beispiel die „andere Buchhandlung“ in Rostock (Wismarsche Str. 6/7), die sich als Kulturbuchhandlung versteht, alle paar Tage eine Veranstaltung durchführt und deren Vollholzregale eine warme Atmosphäre ausstrahlen. Viele Veranstaltungen macht auch die zentral gelegene Buchhandlung „Alex“ im österreichischen Linz (Hauptplatz 31). Zudem fallen hier die vielen Bücher aus kleineren Verlagen auf – man sieht: hier ist noch ein Buchhändler mit Leib und Seele am Start, der sich nicht nur an Bestsellerlisten orientiert.
Statt Bestsellerlisten lieber den buchändlerischen Empfehlungen vertrauen, das kann man auch bei „CoLibris“ in München (Leonrodstr. 19). Hier gibt es ein ausgewähltes Sortiment aus den Bereichen Belletristik, Sachbuch, Lyrik, Klassiker, Graphic Novels, Kinder-Jugendbuch, sowie Reise, Kochen, Hörbuch und englische Literatur, zudem gibt es eine feine Musikabteilung (CD und Vinyl).
„Artes liberales“ in Heidelberg (Kornmarkt 8) will „Zeit und Raum für Bücher und Gespräche“ bieten – schon dies im Zeitalter betriebswirtschaftlicher Kennzahlen (Abverkaufsgeschwindigkeit! Quadratmeterumsatz!) ein Anachronismus. Der Laden wird vom Inhaber offenkundig wie ein Café aufgefasst, wozu das Flair passt. Die in den Laden kommen, die werden nicht auf ihren Geldbeutel taxiert und als Kunden angesehen. Sondern als Menschen.
„Books Lesecafé“ im bayrischen Oberstaufen (Hugo-von-Koenigsegg-Str. 12) ist ein Wagnis – im Oberallgäu hält man sich bei gerade mal gut 7.000 EinwohnerInnen. Neben Büchern gibt es hier vegetarische und vegane Küche sowie – an Selbstbewusstein mangelt es nicht – „den besten Espresso nördlich der Alpen“.
Derweil Thalia zum Alleshändler wird und zumindest in seinem Online-Shop nun Möbel, Küchenutensilien und Büroartikel anbietet gibt es also noch eine Menge Buchhandlungen zu erleben, bei denen die Bücher (und gegebenenfalls auch ergänzende Angebote) noch mit Herz und Sachverstand ausgewählt werden. Und was ist Eure Lieblingsbuchhandlung?

Viel Arbeit für wenig Geld – Realität in vielen Verlagen und Buchläden –, das muss man sich leisten können. Damit Verlage und Buchläden in ihrer faszinierenden Vielfältigkeit erhalten bleiben können, braucht es eine entsprechende monetäre Förderung, wie sie im Musik-, Theater-, Film-Bereich seit langem üblich ist. Ich wiederhole mich hier, da ich auch in vergangenen Einwürfen schon dazu schrieb. Aber ich weiß von genug Verlagen und Läden, die nur aufgrund vermögender PartnerInnen, der Frührente des Besitzers oder den Entbehrungen eines „Brotjobs“ neben der leidenschaftlich betriebenen Verlags- oder Ladentätigkeit aufrechtzuerhalten sind. Das kann nicht ewig gut gehen, zumal wenn die Zeiten wirtschaftlich nun noch härter werden. Nicht nur wirtschaftlich allerdings. Reicht es angesichts des sich epidemisch verbreitenden dumpf-bräsigen rechten Populismus wirklich, „heiter und gelassen mit Büchern Ausrufezeichen zu setzen“, wie es Wagenbach-Verlegerin Susanne Schüssler formulierte?

Es grüßt Der Ziegelbrenner