sechsundvierzigster Einwurf des Ziegelbrenners – Der Neujahrs-Einwurf

Geneigte lesende Gemeinde,

immer wieder bekomme ich viel positives Echo auf meinen Newsletter („Einwurf“). Die Einwürfe sind weit mehr als ein bloßes Werbemedium, sie umkreisen die Themen, die den Ziegelbrenner mit seinem spezifischen Kontext und seinem spezifischen Angebot erst ausmachen. Wenn der Einwurf gefällt, so darf er gerne weitergeleitet werden. Gleich auf der Startseite der Homepage kann mensch sich in meinen Verteiler eintragen. Die alten Einwürfe sind hier zu lesen.

Nun aber doch erstmal Werbung: bis zum 31.1. gibt es auf meiner Homepage alle DVD’s für 5 Euro, alle CD’s für 5 Euro, alle LP’s für 10 Euro, alle Hörspiele für 10 Euro!

Mein letzter Einwurf widmete sich ja intensiv dem Thema „Amazon“. Der Konzern ist inzwischen so groß, dass es kein Projekt mit ihm aufnehmen kann. Immerhin gibt es aber vermehrt Ansätze, dem Internet-Giganten Alternativen entgegenzustellen, um zu zeigen, wie es auch gehen könnte mit einem „solidarischeren“ Internethandel (man mag das Wort „Solidarität“ ja kaum mehr in den Mund nehmen, so häufig, wie es in den letzten Monaten und Jahren missbraucht wurde, etwa als „solidarischer Lockdown“ oder „Solidarbeitrag“). Eines der professionelleren Beispiele ist „La Zona“ (Beitrag in der taz). In Deutschland ist dergleichen bisher nicht sichtbar, im Gegenteil. So will sich die Buchkette Thalia ganz traditionell vor Amazon schützen, indem sie durch Zukäufe immer größer und damit mächtiger wird, damit indessen auch den kleinen, unabhängigen Buchhandlungen immer mehr auf die Pelle rückt.

Ein aktuelles Buch zeigt übrigens, wie Amazon zur Spaltung der us-amerikanischen Gesellschaft beiträgt (Deutschlandfunk Kultur). Das „Handelsblatt“ entdeckte gar einen neuen Skandal: „Amazon unterstützt die Propaganda der Impfgegner“. Ziemlich flach geschossen, auch und gerade für ein Wirtschaftsblatt. Denn man kann Amazon ja vieles nachsagen. Aber einem Konzern vorwerfen, dass er Geschäfte macht mit dem, was sich verkauft? Amazon ist eben ein Allesverkäufer. Reichlich Fascho-Kram verkauft er entsprechend auch schon seit Jahren. Und wenn es sich verkauft, finden sich daneben eben, nur zum Beispiel, auch Anarchie-Bücher. Ein Kernthema meiner Einwürfe ist immer wieder die Frage, wie es um das Buch – und das Lesen – steht. „Lesen ist wunderbar und gefährlich, und beides zusammen ist unverzichtbar“, so schrieb die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer einmal. Ein Leitsatz Gronemeyers, „Wir müssen radikaler denken, als wir handeln können“, ist im Übrigen ein grundlegendes Motiv auch für den Ziegelbrenner: Bücher als Anstiftung, über den Rahmen des Bekannten und Immergleichen, des scheinbar Möglichen und über die vermeintlichen „Sachzwänge“ hinauszudenken.

Denken, das ist das Verlassen bekannter Wege, das Betreten unbekannten Terrains, eine Entdeckungsreise, für die die Welt der Bücher unzählige Anregungen bereithält. Eine Entdeckungsreise nebenbei, die in diesen Zeiten (da sich die überaus destruktive Energie der Welt, so wie sie derzeit eingerichtet ist, tagtäglich erweist) geradezu existentiell notwendig ist. Denken, das ist Graben im Ungewissen, mit der Chance auf Besserem als dem fatalen herrschenden Falschen. Apropos Graben: „Philosophieren ist für den Menschen wie für den Maulwurf das Graben“, so der Filmemacher und Schriftsteller. Alexander Kluge. Wohlan, hier geht es zu meinen Philosophiebüchern.

Zurück zur Ausgangsfrage: wie steht es eigentlich um das Buch? Auch 2021 wieder waren Bücher das zweitbeliebteste Geschenk – hinter Geschenkgutscheinen (und beides lässt sich ja durchaus miteinander verbinden). Gerade die kontaktlosen Lockdown-Zeiten wurden intensiv zum Lesen genutzt. Lesen, das geht eben auch ohne Publikumsverkehr, ohne soziale Interaktion die Corona-Pandemie wurde nicht zuletzt für eine massive Digitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche genutzt, so auch in der Buchbranche, mittels Internet kamen die Buchläden ganz gut durch die geschlossene Zeit. Und doch muss man fragen: fehlt da nicht etwas? Das meint nun nicht fragwürdige „Literaturpäpste“ á la Dennis Scheck, die sich als Autoritäten inszenieren über jenes, was gelesen werden „soll“. Aber: waren Bücher nicht immer auch ein Medium, von dem öffentliche Debatten und Diskurse ausgingen? Und nun – kein Dissens mehr, „ohrenbetäubende Stille“ (Felix Stephan in der Süddeutschen Zeitung) in der Buch-Welt, während die „sozialen Medien“ (was bitte schön ist an ihnen sozial?) die Spaltung der Welt in Geimpfte und Ungeimpfte vorantreiben. Hier deutet sich an, was verlorengeht, wenn eine Welt auf die differenzierten Zwischentöne verzichtet, die mehr Zeichen brauchen als eine Twitter-Nachricht.

Gegenüber den E-Medien, die eine totale Filterblase bilden, bietet das klassische Lesen die Möglichkeit, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die bisher nicht wahrgenommen wurden, und sich aus unterschiedlichen Sichtweisen eigene Meinungen zu bilden. Dies passiert in den E-Medien nicht, diese polarisieren aufgrund ihrer Funktionsweise. Deshalb mündet eine Gesellschaft, in der nicht mehr gelesen – und das Gelesene nicht öffentlich verhandelt – wird, zwangsläufig in den Trumpismus (das heißt im Umkehrschluss nicht, dass alle Menschen, die nicht mehr lesen, blöd sind, oder dass alle Bücher gut sind). Nicht ohne Grund haben totalitäre Ideologien Bücher, bis auf wenige politisch „genehme“ Werke, immer bekämpft, von der Kirche über den Nationalsozialismus bis zu den Republikanern unter Trump.

Zutiefst beunruhigt bin ich, wie oben schon angedeutet, von der aufgeladenen, geradezu hysterischen Stimmung, die „Ungeimpften“ entgegenschlägt (im öffentlichen Diskurs wie in der Arbeitswelt etc.) – eine Steilvorlage, die Öl auf die Mühlen jener gießt, die sich nun umso mehr als Opfer stilisieren können. Die Folge ist eine Polarisierung, auf beiden Seiten, begleitet von einem Verlust der Vernunft. Nebenbei bemerkt: wer im Frühjahr 2020 einen Impfzwang kommen sah, galt damals als „Verschwörungstheoretiker“. Dabei sind über 60% der über 60jährigen, die mit dem Coronavirus im Krankenhaus landen – also keineswegs nur „leichte Verläufe“ haben, von wegen Virenlast und so – vollständig durchgeimpft. „Faktenchecks“ (in diesem Umfang auch ein Corona-Phänomen) suchen dies zwar zu erklären, sind aber teils ihrerseits so fragwürdig, dass es inzwischen Faktenchecks zu Faktenchecks gibt. Es rächt sich, dass von vornherein einzig und allein auf das Impfen gesetzt wurde, ohne nach Alternativen zu forschen, und dabei neuartige Impfstoffe entwickelt wurden, die von Beginn an viele Fragen offen ließen und daher auch die Skepsis beförderten. Dem Thema Impfen ist ein Kapitel in meinem Buch gewidmet, auf das ich weiterhin nur verschärft hinweisen kann (und das auf Facebook nicht beworben werden darf, da es „politisch relevante Themen“ enthält!). Ein weiteres Buch zum Thema ist in Vorbereitung, hat aber noch keinen Verlag gefunden, die „linken“ Verlage schrecken vor kritischen Büchern zum Thema zurück, und den anderen ist es zu links.

Das Coronavirus hat eine schon vorher sichtbare Tendenz verstärkt, nämlich den Rückzug aus dem öffentlichen Raum, ein Einigeln im Privaten, ein neudeutsch „Cocooning“ genanntes Verhalten, das sich im publizistischen Bereich durch jede Menge neuerer Zeitschriftentitel über Wohnideen, Gartengestaltung und ländlichem Leben („Landlust“ etc.) zeigt, aber auch durch ein verstärktes Interesse an Kochbüchern. Meine Bücher zu Ernährung und Kochen finden sich hier.

Zeitschriften entstehen, Zeitschriften vergehen – und welche sich nicht mehr halten können, ist natürlich nicht zufällig, sondern ebenfalls Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen. Hier möchte ich eine neue kleine Reihe beginnen mit Zeitschriften, die untergegangen sind (ich freue mich über Hinweise!). Heute: die „Arbeiterfotografie“, die im Bereich sozial engagierter Fotografie immer sehr lesenswert war und durch die ich für mich etliche mir zuvor unbekannte Fotograf*innen entdeckte. Die letzte Ausgabe ist die Nr. 96/ 97 erschien 2012, eine „in Vorbereitung“ angekündigte Nr. 98 erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit.

Auch dem Buchhandel machen ständig neue Maßnahmen, die oft kaum mehr vermittelbar sind, zu schaffen. Eine Buchhändlerin im „Börsenblatt“: „Ermahnungen wie, bitte den Mundschutz zu tragen oder auf einen Abstand zu achten, trauen wir uns schon gar nicht mehr auszusprechen. Geimpfte Kunden sind in der Mehrzahl der Fälle fest davon überzeugt Repressalien ausgesetzt zu sein, denn: sie wären ja jetzt sicher. Dreimal geimpft… Mein Beruf als Buchhändler macht mir seit Wochen keine Freude mehr. Vorbei die Zeiten, in denen freundliche Gespräche möglich waren, man seinen ganzen Elan in Kunden freundliche Konzepte stecken konnte. Täglich neu als Polizist statt als Buchhändler anzutreten und dabei Erklärungen für Maßnahmen zu vermitteln, die sich mir selbst nicht erschließen, ist nicht nur schwer erträglich, sondern fernab jeglicher Maßnahmen, die Sinn machen“.

Trotz allem: Buchläden vergehen, Buchläden entstehen (ja, auch das gibt es!). Ja, es gibt sie noch – oder wieder! -, die guten Buchläden.Z.B. in Braunschweig: der „Guten Morgen Buchladen“ (Bültenweg 87) kommt sozusagen aus dem Traditionsbestand linker Buchläden, er entstand bereits 1979, damals noch im Müsli-Stil der Zeit. Ich erinnere mich immer wieder gern, wie ich einst dort mit Claus und den anderen alten Hasen (meiner Erinnerung damals tatsächlich eher eine Männerriege) Kaffee trank und plauderte. Seither gibt es ein neues Team, und auch inhaltlich hat sich der Laden erweitert, einen Besuch lohnt er aber immer noch.Z.B. in Zürich: „Paranoia City“ (Ankerstraße 12) besteht, ursprünglich als anarchistischer Laden, auch bereits seit 1975. Dort erschien der Szene-Bestseller in Sachen Utopie, „bolo´bolo“ (siehe hier). Der Laden hat vor einiger Zeit einen Generationswechsel durchgemacht und wurde nun in eine Buchhandlung mit – sehr anregendem – feministischem und queerem Sortiment umgewandelt: „Jedes bereichernde Buch das gekauft, weitergegeben, gelesen und verschenkt, ausgeliehen, vorgelesen und verbreitet wird, löst in uns eine kleine Explosion aus“.

Z.B. in München: wenn ich die von der Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander 1982 gegründete „Literaturbuchhandlung“ (im Jüdischen Museum, St.Jakobs-Platz 16) nenne, so möchte ich auch auf meine bescheidene Judaica-Auswahl hinweisen. Im Vergleich dazu finden sich in dieser Buchhandlung natürlich unterschiedlichste Zugänge zum Judentum in reichhaltigster Auswahl. Mittlerweile gibt es mehrere Filialen, deren Adressen sich auf der Homepage finden.Z.B. in Wien: von ganz anderem Zuschnitt ist die Buchhandlung „Posch“ (Lerchenfelderstraße 91), eine kleine, feine Buchhandlung, die vor allem Kunstströmungen wie Surrealismus, Expressionismus, Dadaismus gewidmet ist, zudem der Philosophie – nicht zuletzt dem Existentialismus  – und ausgewählter Belletristik, schließlich hat der Inhaber auch noch ein kleines Faible für Botanik. Hier spiegelt sich in der handverlesenen Auswahl die Persönlichkeit des Betreibers wieder. Als „Bücherwunderkammer“ bezeichnete der Autor Ferdinand Schmalz einmal diesen Laden.Gerne möchte ich demnächst auch mal wieder ein paar neuere Buchhandlungen vorstellen, während es dieses mal doch alles schon seit Langem bestehende Läden waren. Ich freue mich über Tipps: was ist eure/ Ihre Lieblingsbuchhandlung?

Was sonst noch? Die Anarchistische Bibliothek Wien – der sich ein Projekt wie Der Ziegelbrenner selbstverständlich verbunden fühlt – wurde mit dem „Förderpreis der freien Szene Wiens 2021“ ausgezeichnet. Dort gibt es auch für 2022 wieder einen guten, informativen Wandkalender, außerdem ist dort nun wieder regelmäßig geöffnet, und ein Leseraum lädt zum Schmökern in diversen Zeitungen ein. Siehe hier.

Letztens war ich, zum wiederholten Male, im Bremerhavener Auswandererhaus, das wirklich einen Besuch lohnt. Ich war dort mit einigen geflüchteten Jugendlichen, die bewegt waren von dieser Geschichte, den dahinter stehenden Biographien, und die Vergleiche zogen zu ihrer Situation. Auf den Passagierlisten, die das Bremer Staatsarchiv veröffentlichte, taucht als Heimatort kurioserweise auch „Anares“ auf – von einem solchen Ort habe ich nie gehört, wenn auch die dem Ziegelbrenner vorausgehende Buchvertriebs-Föderation sich so nannte (aber nach dem fiktiven Planeten „Anarres“ im Science Fiction „Planet der Habenichtse“ von Ursula K. LeGuin). Weiß jemand etwas über einen Ort namens „Anares“?

Es grüßt

Der Ziegelbrenner