Vierundfünfzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der „Nie wieder Bücherverbrennung“-Einwurf

Liebe Einwurf-Lesende,

„wer Bücher verbrennt, verbrennt auch Menschen“, so Heinrich Heine prophetisch schon vor gut 200 Jahren. Dies sollte sich auf grausamste Weise bewahrheiten: vor 90 Jahren, am 10. Mai 1933 fand die nationalsozialistische Bücherverbrennung statt, der die industrialisierte Massenvernichtung von Menschen folgte. Bücher von Vicky Baum, Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Hans Fallada, Lion Feuchtwanger, George Grosz, Heinrich Heine (!), Franz Kafka, Mascha Kaleko, Irmgard Keun, Else Lasker-Schüler, Theodor Lessing, Jack London, den Manns, Erich Mühsam, Carl von Ossietzky, Theodor Plievier, Gustav Regler, Erich Maria Remarque, Nelly Sachs, Anna Seghers, Kurt Schwitters, Upton Sinclair, Ernst Toller, B. Traven, Kurt Tucholsky, Jakob Wassermann, Armin T. Wegner, Paul Zech, Hermynia zur Mühlen und vielen anderen – heute oft weithin vergessenen – Autor*innen gingen in Flammen auf.  Ich weise zum Thema auch auf dieses Buch aus meinem Bestand hin.

Unvergessen der Appell des Anarchisten Oskar Maria Graf, der wohl bei den Nazis zunächst als bayrischer Volksschriftsteller durchging und angesichts dieser Barbarei öffentlich forderte: „Verbrennt mich“ – Graf wollte nicht als Teil des „neuen deutschen Geistes“ betrachtet werden. Erich Kästner, der Augenzeuge der Verbrennung seiner eigenen Werke war, schämte sich später, dies widerspruchslos hingenommen zu haben: „Ich hatte mich nur geekelt, Ich war nur passiv geblieben. Auch damals und sogar damals, als unsere Bücher brannten. Ich hatte angesichts des Scheiterhaufens nicht aufgeschrien. Ich hatte nicht mit der Faust gedroht. Ich hatte sie nur in der Tasche geballt“. 1958 äußerte Kästner bei einer Rede: „Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf“. Nie wieder Faschismus – das ist gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges (mit reichlich Rechten auf allen Seiten und einem von den „Grünen“ positiv bewerteten „nationalem Selbstbehauptungswillen“, d.h. Ethnopluralismus, ein Konzept der „Neuen Rechten“) eine eigentlich sehr aktuelle Konsequenz aus den Kästner-Worten.

Aus dem Anlass dieser Bücherverbrennung gibt es in Hamburg erstmals seit 2020 (damals noch von der inzwischen verstorbenen Esther Bejerano eröffnet) wieder eine Marathon-Lesung der verbrannten Bücher. In Stuttgart erinnern die Anstifter unter dem Motto „Für das Wort und die Freiheit“ mit Veranstaltungen an diesen Jahrestag. In vergangenen Zeiten fanden ähnliche Lesungen auch in Berlin, München oder Dortmund statt, aus diesen Städten habe ich aber dieses Jahr keine Informationen über geplante Veranstaltungen erhalten – nimmt das Interesse am Thema, am Gedenken ab?

Die Kulturbarbarei der Büchervernichtung geschieht gegenwärtig auch in der Ukraine, dort „säubern“ Privatmenschen in großem Umfang ihre privaten Bibliotheken und werfen russische Literatur, darunter auch die „Klassiker“ der russischen Literaturgeschichte ins Altpapier. Immer wieder auf der ukrainischen „don´t“-Liste der verachteten Bücher ist u.a. der Pazifist, gewaltfreie Anarchist und Anti-Patriot Leo Tolstoi. Mit dem Altpapier-Erlöswird, ausgerechnet, die ukrainische Armee unterstützt. Bittere Ironie: Antikriegsbücher („Krieg und Frieden“) werden zu Waffen. Nein, dies ist – noch – keine Bücherverbrennung. Aber auch nicht mehr weit davon entfernt.

Bereits im letzten Einwurf berichtete ich, dass es noch nie in der Geschichte weltweit so massive Zensureingriffe gab. Die Zensur weist viele Gesichter auf, vom Aussortieren „unliebsamer“ Bücher aus öffentlichen Bibliotheken und der Verbannung von den Lehrplänen über die Verfolgung kritischer Autor*innen und Journalist*innen und offene Verbote bis zur „Schere im Kopf“, der Selbstzensur. Für Deutschland eine immer noch maßgebliche Untersuchung  zum Thema legte vor gut 25 Jahren Roland Seim vor.

Es erstaunt mich seit Langem, dass es noch keine Verbotsforderung gegen die Bibel gab. Immerhin weist Rainer Schepper schon vor 30 Jahren darauf hin, was für ein Ausmaß an Gewalt, Barbarei, Rachsucht, Hass und Sadismus im „Buch der Bücher“ zutage tritt. Doch halt – nun gibt es tatsächlich ausgerechnet im republikanisch regierten US-Mormonenstaat Utah eine Elterninitiative, die Bibel an Schulen wegen pornographischer Inhalte verbieten zu lassen, unter Bezug auf ein von eben jenen Republikanern selbst erlassenes Gesetz, das freilich in erster Linie auf LGBTQ-Inhalte zielte. Denn es genügt nach diesem Gesetz, ein Buch komplett zumindest an Schulen zu verbieten, dass nur einzelne anstößige Szenen enthält. In der Bibel aber wimmelt es von Inzest, Onanie, Sodomie, Prostitution, Vergewaltigung, Kindesmord, so die Eltern.

Inwiefern eine den digitalen Inhalten innewohnende Tendenz zur Selbstauslöschung (das Internet vergisst nicht, heißt es, es ist aber doch in hohem Maße manipulier- und zensierbar, was auch für lizensierte, auf Zeit gekaufte Inhalte zutrifft) die Zerstörung des Buches, wie wir es kennen, noch befördert, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Dazu kommt die technologische Halbwertzeit von Speichermedien, Lesegeräten etc. Eine öffentlich wenig beachtete Thematik ist auch die kommerzielle Buchzerstörung. Immer wieder höre ich von Antiquariaten, die im Sinne der „Marktentsättigung“ („Bereinigung von Überangeboten“) im großen Stil Bücher entsorgen, und Verlage zerstören aufgrund hoher Lagerkosten immer wieder palettenweise Bücher, um Platz für Neuerscheinungen zu bekommen. Wenn bei der Bücherverbrennung in Berlin etwa 25.000 Bücher den Flammen zum Opfer fielen, so dürfte das die Menge sein, die heute vermutlich beinahe täglich in der Stadt vernichtet wird. Eine Übertreibung? Man schätzte bereits im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre, dass beispielsweise in Frankreich jährlich rund 100 Millionen Bücher geschreddert und eingestampft werden (Kodex – Jahrbuch der Internationalen Buchwissenschaftlichen Vereinigung, Band 3, Wiesbaden 2013, S. 4).

Die „Gesetze des Marktes“ sollen damit nicht mit der NS-Herrschaft gleichgesetzt (die NS-Bücherverbrennung war kein spontanes Ereignis, sondern eine staatlich geplante und organisierte Veranstaltung) werden, doch zeigt der Umgang mit Büchern im Kapitalismus eben auch ein hohes Ausmaß von Missachtung und kultureller Barbarei – und dabei wird diese tägliche Vernichtung kaum mehr wahrgenommen. Die schlechte Ausstattung öffentlicher Bibliotheken trägt ihren Teil zum Verfall des kulturellen Gedächtnis bei: Werke, die nicht oft genug ausgeliehen werden, werden, schon aus Platzgründen, „ausgemustert“ (in den USA haben findige Buchliebhaber*innen fiktive Ausleiher*innen kreiert, um die Leihquote anzuheben, siehe FAZ, 5.1.2017). Wobei umgekehrt massenweise Raubgut, nicht zuletzt aus jüdischen Beständen, in deutschen Bibliotheken steht, wie Deutschlandradio Kultur berichtete. Übrigens stehen unselige Bücherverbrennungen, samt antisemitischer Grundierung,  bereits am Anfang des deutschen „nationbuilding“, man denke nur an die Bücherverbrennung beim Wartburgfest 1817 – Heines obiges Zitat dürfte auch durch diese Erfahrungen begründet sein.

Zensur hat wie gesagt viele Facetten. Seit der Corona-Pandemie ist eine massive Verschärfung des öffentlichen Tonfalls wahrnehmbar. Die Beleidigung ersetzte das Argument. Auch wohl begründete abweichende Meinungen wurden nicht nur diffamiert und Menschen damit ausgegrenzt, sondern dies konnte auch massive persönliche Folgen haben. Ich weiß von gekündigten Journalisten, von eingeschüchterten Pflegekräften, von Künstlern, denen Auftritte gekündigt wurden und von Solchen, die sich nicht trauten, sich zu äußern, aus Angst vor den finanziellen und beruflichen Folgen. „Für oder gegen Lockdown und Impfpflicht“, Für oder gegen die Ukraine“ (= „Gut oder Böse“): unter dieser debattenfeindlichen, einschüchternden Polarisierung geht es nicht. „Faktenchecks“ sind kaum mehr von Hasspredigern (regelrechte Treibjagd auf Ungeimpfte) zu unterscheiden, auch nicht von Fake News, denn diese „Faktenchecks“ sind längst selbst zu einem Herrschaftsmittel geworden. Wer aus dem Konsens ausschert, hat die Folgen selbst zu tragen. Braucht es da noch offene Zensur? Das Ziel ist der totale Sieg, auch argumentativ, d.h. die totale Deutungshoheit. So wird, wie Christof Wackernagel schrieb, „die physische Bücherverbrennung durch die psychische ersetzt: Bücher in der Sprache des Kriegsgegners müssen boykottiert werden“ – siehe oben.

Was die vollkommene mediale Einseitigkeit und die ausgeprägte „Expertokratie“ von nur rund einer Handvoll auserwählter Virologen in den Corona-Jahren betrifft, so merken nun langsam auch Mainstream-Medien, dass sie über das Ziel hinausgeschossen sind. Leider reichlich spät. „War Schwedens Sonderweg doch richtig?“ fragte etwa das ZDF am 9.3.2023 anlässlich der Auswertung von Statistiken zur „Übersterblichkeit“. Ich empfehle zur Lektüre mein Buch, das nicht erst 2023, sondern bereits 2021 einen kritischen Blick auf die Pandemiepolitik warf.

Übrigens: von und zu Leo N. Tolstoi, dessen Bücher in der Ukraine gerade entsorgt werden – Ironie der Geschichte: in Russland folgte auf das öffentliche Zeigen des Buches „Krieg und Frieden“ eine Anzeige – gibt es immerhin gut 40 Titel in meinem Shop. Wieder brandaktuell angesichts immer neuer Rufe nach noch mehr Waffen sind auch die mehr als 150 Publikationen meines Shops zum Thema Antimiltarismus.

Bei den Landtagswahlen in Bremen tritt im Mai die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung“ zur Wahl an. Laut ihr kann man „tausende von Jahren“ alt werden. Das ist kein Witz – die meinen das ernst! Da doch Lieber Jaroslav Hasek („Schwejk“) lesen, der mit seiner „Partei des maßvollen Fortschritts“ lange vor der deutschen „Partei“ eine Satire-Partei gründetet. Hasek war eben ein „Anarchist mit Humor“. Nur empfehlen kann ich den Band „Lausige Geschichten“ mit politischen Satiren und Humoresken, der 1992 im Verlag der leider inzwischen verstorbenen Verleger-Legenden Bernd und Karin Kramer erschien. Meine allerletzten Exemplare dieses wunderbaren Buches stehen nicht mehr im Shop, können aber noch für je 18 Euro zzgl. Versand bei mir bestellt werden.

Anarchistisch inspiriert war jahrzehntelang auch das Programm des Hamburger Verlages „Edition Nautilus“. Mitgründerin Hanna Mittelstädt hat ein anschauliches Buch zur Verlagsgeschichte geschrieben, dass ich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung rezensieren konnte. Im Buch wird auch von der über lange Jahre prekären Situation des kleinen Verlages berichtet. Ich thematisierte diese Probleme ja bereits im letzten „Einwurf“, und erhielt nun die Nachricht eines Kleinverlegers, der im Winter auf maximal 8 Grad heizt und nur 15 Euro pro Woche für Lebensmittel ausgeben kann – überhaupt noch kritische Bücher publizieren zu können wird entweder (wie in diesem Beispiel) zur Selbstkasteiung oder zum Luxus (ein Erbe oder vermögende Partner*innen voraussetzend). Wenn dann mal ein ökonomischer Erfolgstitel erscheint, so musste auch die „Edition Nautilus“ erfahren, dass Großverlage dann die Autor*innen abwerben. In der „Edition Nautilus“ jedenfalls erschien auch Literatur zum nun auch bereits 55 Jahre zurückliegenden aufständischen Mai 1968 in Frankreich, siehe z.B. diese Ausgabe der Zeitschrift „Die Aktion“.

Der 1. Mai steht vor der Tür, heute ein – von den Nazis begründeter – „Tag der Arbeit“, davor ein internationaler Kampftag der Arbeiter*innen mit anarchistischem Ursprung (den Haymarket-Ereignissen 1886 in Chicago). Fast 600 Publikationen zur Arbeiter*bewegung warten in meinem Shop auf ihre Entdeckung.

Und wo wir schon beim Anarchismus sind: hinweisen möchte ich nochmals auf das anarchistische Treffen in Schweizer Jura (St. Imier war eine Hochburg der anarchistischen Uhrmacher und hat bis heute eine gewisse Präsenz des Anarchismus) im Juli 2023. Gut möglich, dass wir uns da dann sehen, da ich dort einen Workshop zum Krieg in der Ukraine plane.

Zum Schluss noch ein Spendenaufruf der Anarchistischen Bibliothek in Wien. Vorhaben wie die laufende Anschaffung neuer Publikationen (Bücher, Zeitschriften, Zeitungen…), der Kauf eines neuen Bücherscanners für die Digitalisierung des Bestandes, die Entwicklung eines digitalen, anarchistischen Stadtplans für Wien, Graz und Europa, die Neu-Auflage der Ausstellung über die anarchistischen „Mujeres libres“ im Spanien der 1930er Jahre etc. kosten Geld, weshalb man um Spenden bzw. Mitgliedschaften wirbt: „Daher möchten wir dich ersuchen, uns auch heuer mit deinem Mitgliedsbeitrag zu unterstützen – entweder mit einem Dauerauftrag von 5, 10, 20 auch mehr Euro im Monat oder einer einmaligen Überweisung von 60 Euro auf folgendes Bankkonto: Verein zur Förderung libertärer Bibliotheks- und Archivkultur, IBAN: AT78 1400 0108 1000 0703“.

Es grüßt

Der Ziegelbrenner

www.ziegelbrenner.com

info@ziegelbrenner.com

PS: wie immer darf auch dieser Einwurf gerne weitergeleitet werden. Bitte Belege bzw. Links zukommen lassen, merci!