Vierundzwanzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Buch? Handel? Zukunft? – Anmerkungen zur Buchkultur, Teil VII

Liebe Freundinnen und Freunde des gedruckten Buches,

heute möchte ich endlich wieder meine kleine Reihe zu aktuellen Entwicklungen rund um die Buch- und Lesekultur fortsetzen.

Wem die Zeit zwischen den unregelmäßig versendeten Einwürfen zu lang wird, der/die kann natürlich auch gerne mal die neuesten, täglichen Buchtipps auf www.facebook.com/ziegelbrenner nachlesen. Ich freue mich wie immer auf Euer Feedback & Eure Bestellungen!

„Das Buch als Kulturgut unter Denkmalschutz zu stellen, ist nicht der richtige Weg. Vielmehr muss es unsere Aufgabe sein, die Lust aufs Buch am Leben zu halten“, so Karin Schmidt-Friderichs, die mehrere Jahre im Vorstand der „Stiftung Buchkunst“ war, die die Ausstellung „Die schönsten deutschen Bücher“ organisiert (eine Ausstellung, die auch mehrmals in meinem einstigen Buchladen zu Gast war). Doch der Buchhandel hat es bekanntlich schwer. Und nun schießen in Städten wie Dörfern überall öffentliche Bücherschränke wie Pilze aus dem Boden – eine umfassende Umsonstversorgung im Kulturbereich mag ja löblich sein, doch suggeriert in der geldorientierten Gesellschaft nicht immer auch der Preis eine Wertigkeit? „Macht die Bücher billiger“ forderte Kurt Tucholsky, und in der Tat wird das Buch so vom elitären Dünkel befreit. Billiger als umsonst geht nicht. Bücher tun in diesen Bücherschränken in oft beeindruckender Geschwindigkeit, was sie ja eigentlich tun sollten, sie wandern, sie zirkulieren. Komisch nur, dass es keine Umsonst-Theater, -Kinos, -Cafés, -Kneipen, -Straßenbahnen, -Wohnungen etc. gibt. Ist das Buch nun also über Tucholskys Intentionen hinausgeschossen, ist es nun einfach nichts mehr wert?

Doch es gibt sie noch, die guten Buchhandlungen. Zum Beispiel in Baden-Württemberg. Da wäre die prachtvolle „Buchhandlung zum Wetzstein“ (Salzstraße 31, Freiburg), eine der Lieblingsbuchhandlungen des Schriftstellers Arnold Stadler. Im „Wetzsteinbrief“ stellt die Inhaberin auch ihre Lieblingsbücher vor – zuletzt z.B. von Oskar Maria Graf und W.G. Sebald. Im Buchladen gibt es Erstausgaben, Vorzugsausgaben, signierte Bücher, kurzum: vielerlei literarische Delikatessen, neu und auch gebraucht. Der „Buchladen in der Rainhof Scheune“ in Kirchzarten (Höllentalstr. 96) bietet die Möglichkeit, sich in der „Spätlese“ für mehrere Stunden mit einer Flasche Sekt im Buchladen einschließen zu lassen. Außerdem besticht diese Buchhandlung durch intensive Leseförderung und ein ausgesprochen umfangreiches Veranstaltungsprogramm.

Vielleicht ist auch das kleine Ochsenhausen mal eine Reise wert? Mir sagte der Ort nichts, bis ich von der „Lesebar“ (Schlossstr. 8/ 2) hörte. Auch dort kann man sich einschließen lassen, und im urigen Kellergewölbe es ehemaligen Klosters – eine schöne Umwidmung: vom religiösen Ort zum aufklärerischen Literaturort – finden ebenfalls viele Veranstaltungen statt. Hier zeigt sich auch die immense Bedeutung von Buchläden als oftmals letztem kulturellen und sozialen Treffpunkt gerade in kleineren Orten. Dieses Engagement wurde auch schon mehrfach mit dem Deutschen Buchhandlungspreis honoriert. „Artes liberales“ in Heidelberg (Kornmarkt 8) wurde gar schon einmal als eine der drei besten Buchhandlungen Deutschlands ausgezeichnet. Es ist auch eine der kleinsten Buchhandlungen: gerade einmal 20 Quadratmeter, eher ein Wohnzimmer also. Und so persönlich ist auch die Buchauswahl des Inhabers: „Ich habe einfach den Laden gemacht, der mir in Heidelberg gefehlt hat“, sagt er: „Das Sortiment ist in großen Teilen deckungsgleich mit meiner privaten Bibliothek.“  Und was ist Eure Lieblingsbuchhandlung?

Aufgrund der Bedeutung, die dieser Konzern für den Buchmarkt hat, ist ja „Amazon“ immer wieder auch ein Thema in meinen Einwürfen. In einer Zeit, da die „Geiz ist geil“-Mentalität vielfach und nachhaltig die Köpfe vernebelt hat, komme ich mir da oft wie der Rufer in der Wüste vor. Im Buchhandel selbst ist natürlich ein entsprechendes Problembewusstsein vorhanden. So ärgert sich Barbara Roth von der „Offenburger Buchhandlung“, dass Verlage vielfach als erstes (und oft einziges) auf Amazon als Bezugsquelle verweisen, statt auf die örtlichen Buchläden. Denn mit einer integrierten Postleitzahlsuche wäre es heute ja problemlos möglich, auf regionale Buchläden hinzuweisen, die vielfach auch einen kostenlosen Lieferservice bieten. Ein Beispiel dafür bietet Tyrolia in Innsbruck, wo beim Projekt „Running Book“ mit den örtlichen Verkehrsbetrieben kooperiert wird.

Inzwischen betreibt Amazon ja auch eigene Buchläden – die sind allerdings so öde wie wenig anderes auf diesem Planeten. Big-Data-gesteuert werden da aufgrund von Verkaufszahlen und Kundenbewertungen nur Bestseller präsentiert. Die multinationale Konzerne wie Amazon ja keineswegs grundsätzlich ablehnende „Frankfurter Allgemeine“ sprach bezüglich der New Yorker Filiale Amazons von der „langweiligsten Buchhandlung“ der Stadt: „Nirgendwo kann man die kulturelle und moralische Leere des Konzerns besser spüren als in der Filiale am Central Park in New York“ (11.6.2017). Diesen Laden kann Arnold Stadler jedenfalls nicht gemeint haben, als er letztens im „Börsenblatt“ schrieb: „Der Himmel muss eine Buchhandlung sein“.

Unter dem Mantel der „Leseförderung“ ist Amazon mit den firmeneigenen E-Book-Readern auch in den Schulen aktiv, samt einem Schreibwettbewerb, in dem es „natürlich“ ausschließlich Amazon-Produkte als Preise gibt. Das hessische Kultusministerium hat nun immerhin als erste derartige Behörde klargemacht, dass der Konzern an Schulen unerwünscht ist. Ausgerechnet mit dem Ölkonzern Shell kooperiert Amazon (o.k., gute Bücher mögen ja der Treibstoff für den Geist sein…) nun bei den in einigen Regionen erstmal testweise eingeführten Paketabholstationen – mit einem Konzern also, der in Westafrika die Umwelt verseucht und Bürgerkriege mitfinanziert.

Don´t smile – doch apropos „smile“: Mit der Amazon-Spendenplattform „Smile“ können neuerdings bei Käufen Nichtregierungsorganisationen unterstützt werden – in allerdings viel kleinerem Ausmaß als es den KäuferInnen suggeriert wird. Die Organisation „Foodwatch“ wurde – wie die anderen Organisationen – vom selbstherrlichen Konzern gar nicht gefragt, ob sie solche „Hilfe“ überhaupt will. Öffentlich weigerte man sich dort nun, die Spenden anzunehmen, da man nicht den Eindruck erwecken will, mit diesem Konzern zusammenzuarbeiten. Ungeachtet der dubiosen und vielfach zerstörerischen Geschäftspraktiken hat der Online-Händler nach 2016 auch 2017 (bislang) abermals deutliche Umsatzzuwächse und – wichtiger für ein Aktienunternehmen – Gewinnsprünge gemacht. Zu den Arbeitsbedingungen bei Amazon hier noch ein lesenswerter Text: www.gongchao.org/2017/08/18/arbeiten-fuer-amazon-in-china/.

Wo bleibt das Positive? Die Zahl der E-Book-NutzerInnen sinkt im deutschsprachigen Bereich, das gedruckte Buch ist den meisten selbst im Urlaub (wo das Gewicht ja durchaus mal für E-Book sprechen könnte) deutlich lieber, wie ausgerechnet ein Stromkonzern feststellen muss (www.eon.de/de/pk/unternehmen/presse/pressemitteilungen/2017/2017-8-10-buch-schlaegt-e-book-reader–deutsche-verbringen-ihren-urlaub-am.html). Und es ist seit einiger Zeit eine Politisierung des Buchmarktes erkennbar. Schon beim G20-Gipfel in Hamburg fielen mir die Schaufenster der (keineswegs nur linken) Buchhandlungen auf, die kritische Literatur zu den Themen, für die der G20 stand und steht, anboten. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ging dieses Jahr an Margaret Atwood: „Schriftsteller schreiben über das, was sie beunruhigt“, sagte sie einmal. Ihr großartiger, erstmals in den 1980ern erschienener dystopischer Roman „Der Report der Magd“ ist jedenfalls weiterhin lieferbar (und unter der Bestellnummer 54461 für 11 Euro auch im Ziegelbrenner-Shop erhältlich). Atwood steht nicht nur für literarischen Feminismus, sie äußerte sich auch deutlich gegen US-Präsident Trump (was durchaus auch zur Preisverleihung mit beigetragen haben dürfte). „Dank Trump“ sind auf jeden Fall die Print-Auflagen der liberalen Zeitschriften, nach jahrelangen Verlusten, wieder deutlich gestiegen (der stationäre Buchhandel merkt davon bisher nicht so viel, kann aber zumindest die Umsätze halten, was derzeit ja auch schon mal was wert ist).

Und auch die französische Literatur ist wieder deutlich politischer geworden, Macron zum Trotz (auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt ist die französische Literatur, inklusive der frankophonen Literaturen Afrikas, übrigens „Ehrengast“). Herausragend: der Krimi „Der Block“ von Jerome Leroy (unter der Bestellnummer 33168 für 19,90 Euro auch im Ziegelbrenner-Shop erhältlich). Dem vehementen Abgesang des Schriftstellers Franzobel auf die gegenwärtige Literatur (siehe www.deutschlandfunk.de/klagenfurter-rede-zur-literatur-literatur-ist-kampf.911.de.html?dram:article_id=390603) mag ich da nicht vollständig zustimmen. Einige Aspekte sind mit seiner provokanten Polemik jedoch gut auf den Punkt gebracht. Und Bücher werden offenbar immer noch als gefährlich betrachtet – der rechte Bürgermeister der „Romeo und Julia“-Stadt Verona jedenfalls will nun unliebsame Bücher aus den Bibliotheken verbannen. Ein politisches, umkämpftes Terrain bleibt die Buchkultur also, so oder so.

So freue ich mich denn besonders über die die freundlichen Rückmeldungen aus dem Bereich des engagierten Buchhandels zu meinen Einwürfen, „die hier immer gerne und angeregt gelesen werden“, wie mir ein Buchladen schrieb.

Bis zum nächsten Einwurf grüßt

Der Ziegelbrenner

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