Zwanzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Buch? Handel? Zukunft? – Anmerkungen zur Buchkultur, Teil VI

Neulich im Frankfurter Bankenviertel: beschlipste Anzugmänner und adrett dunkel gekleidete Damen dominieren das Straßenbild, meist wird Reichtum eher dezent zur Schau gestellt, ein paar Luxusautos düsen an mir vorbei, Prokuristen und Fondmanager lächeln siegessicher hinterm Steuer. Die Gastronomie ist sichtbar auf das Zielpublikum zurechtgeschnitten, überall elegantes, bisweilen gediegenes Ambiente. Ein Uhrenladen offeriert ein reichliches Sortiment an Armbanduhren von knapp tausend bis an die fünfzigtausend Euro. Business as usual, während die nächste Bankenkrise vor der Tür steht ist die letzte, dank üppigem Staatsinterventionismus („weniger Staat“ gilt nur, wenn es um soziale Absicherung und sinkende Steuern und Unternehmensvorschriften geht), längst vergessen. Das Geld hat weder Charakter noch Gedächtnis, es zählt der heutige Aktienkurs. Ein paar hundert Meter weiter, auf der Buchmesse, ist das Erscheinungsbild – auch im Vergleich zu anderen Branchenmessen – weitaus durchmischter. Irgendwie scheint die Buchbranche, wenn das buntere Erscheinungsbild nicht nur ein Trugbild ist, eben trotz allem (noch) keine ganz normale Handelsbranche zu sein. Idealismus ist im Kapitalismus zwar kein taugliches Geschäftsmodell, doch scheinen hier viele wirklich noch mit dem Herzen beim Medium Buch zu sein.

Tatsächlich verblüfft mich die Buchmesse immer wieder. So waren diesmal etliche neue Verlage mit dabei, und der Gestaltung von Büchern wird zunehmende Bedeutung gegeben. Klar, denn hier kann das gedruckte Buch punkten. Das Taschenbuch mag ohne nennenswerte haptische Verluste durch das ebook ersetzbar sein – für viele der wunderbar aufgemachten, wunderschön illustrierten Bücher dieser Messe gilt das dagegen mit Sicherheit nicht. So ist die Buchmesse ein beeindruckender Marktplatz der Möglichkeiten und Ideen rund um Bücher – Fazit: Das gedruckte Buch lebt!

Ehrengast der Buchmesse 2016 waren die Niederlande und Flandern, und so will ich ein paar niederländische Buchläden vorstellen. Da niederländische Verleger sich geschlossen den hohen Rabattforderungen von Amazon widersetzten spielt das Unternehmen hier keine große Rolle bei Büchern; zu wenig attraktiv ist das Angebot. So hat die Branche dieses Problem schon einmal nicht. Het Fort van Sjakoo (Amsterdam) nannte ich bereits im Dreizehnten Einwurf. De rooie Rat (im schönen Utrecht) gibt es leider nicht mehr. Geschlossen ist auch die Buchhandlung Die weiße Rose (Amsterdam). Dagegen lockt in der selben Straße (Rozengracht) nun der Kinderboekwinkel mit ausgesuchten Kinderbüchern – viele der illustrierten Kleinode sind bisher nicht in deutschen Ausgaben erhältlich. Der Athenaeum Boekhandel (Amsterdam), eine genossenschaftlich (!) organisierte Buchhandlung mit mehreren Filialen, hat über ihrem Hauptgeschäft eine Wohnung für „Writers in Residence“. Ebooks sind hier übrigens nicht erhältlich. Der Boekhandel Van Rossum (Amsterdam) hat einen eigenen Buchclub. Der liebevoll und interessant eingerichtete Laden hat einen Büchertisch, auf dem die MitarbeiterInnen ihre Lieblingsbücher mit handgeschriebenen Empfehlungen vorstellen. Ein ausgewähltes Buchsortiment – mit vielen englischsprachigen Titeln neben den niederländischen Büchern – hat auch die gemütliche Buchhandlung Java Books (Amsterdam). Ein Unikat ist die Buchhandlung Limerick im belgischen Gent (flämischer Teil): hier ist die Schreibmaschinen-Sammlung des niederländischen Schriftstellers Willem Frederik Hermans zu besichtigen: 161 historische Schreibmachinen. Berührung erlaubt! Und was ist Eure Lieblingsbuchhandlung?

Widerspruch gab es auf meinen letzten Newsletter: nach staatlichen Subventionen zu rufen sei Quatsch, hieß es. Die angesichts der ökonomischen Dauerkrise sinnvolle bzw. nötige Förderung des Buchhandels – wie anderer Kulturbereiche auch, z.B. von Kinos, Theater, Kulturzentren – wollte ich dabei überhaupt nicht auf staatliche Unterstützung beschränkt sehen. So gibt es ja auch für AutorInnen unterschiedlichste Stipendien. Was spricht beispielsweise dagegen, die Trägerschaft von Buchhandlungen Stiftungen, Vereinen oder Genossenschaften (in der Schweiz etwa ist letzteres nicht unüblich) zu überlassen? So könnten Buchhandlungen mit einem entsprechenden  ideell-finanziellem Umfeld, das sich mit diesem Vorhaben identifiziert, gerade in „schwierigen“ Regionen, analog etwa zu Dorfläden, zu „Begegnungsbuchläden“ und Treffpunkten ausgebaut werden.  Schließlich sind die Herausforderungen seit Amazon, Buchhandelsketten etc. enorm gestiegen, für die kleineren Verlage – gerade sie machen oft die Entdeckungen, die später, wenn sie erfolgreich sind, von den Großen aufgegriffen werden) wie für die unabhängigen Buchläden. So müssen heute BuchhändlerInnen in Personalunion zugleich Social Media-ManagerInnen sein. Eine Person extra für die Betreuung einer Homepage oder für die Organisation von Veranstaltungen (es gibt gegenwärtig einen interessanten Trend zu immer mehr Lesungen und anderen Literaturveranstaltungen) abzustellen, können sich eben nur die größten Buchhandlungen leisten. So geraten die kleineren Läden in die Defensive, und die Konzentration in der Branche auf wenige größere Unternehmen steigt. Ich finde deshalb, die Frage, wie eine vielfältige Literaturlandschaft längerfristig gesichert werden kann, sollte unbedingt umfassender thematisiert werden.

Nachrichten in Kürze:

Die Kurt-Wolff-Stiftung unabhängiger Verlegerinnen und Verleger hat zur Buchmesse ihren kostenlosen neuen Katalog „Es geht ums Buch 2016/ 17“ vorgelegt, in dem sich etliche Verlage vorstellen. Anzufordern ist er unter www.kurt-wolff-stiftung.de.

Mit „Das Buch“ legte Burkhard Spinnen eine liebevolle, persönliche Hommage an das gedruckte Buch vor. Erschienen ist es bei Schöffling & Co. (einem ebenfalls in der Kurt-Wolff-Stiftung präsenten Verlag). Erhältlich in Eurer gut sortierten Buchhandlung!

Dem Buch widmet sich auch das aufsehenerregendste Werk der Documenta 14, die nächstes Jahr in Kassel eröffnet wird. Ein griechischen Tempeln angelehnter Parthenon soll bis zu 100.000 einst oder gegenwärtig verbotenen Bücher aus aller Welt aufweisen. Hierzu werden noch Buchspenden gesucht. Kontakt: books@documenta.de

Das Börsenblatt des Buchhandels hat das Plakat „Buch und Buchhandel in Zahlen“ veröffentlicht. Der Ziegelbrenner kommt danach aus der Stadt mit der höchsten Buchhandelsdichte Deutschlands (Göttingen) – so etwas mag prägen… Das Plakat kann bestellt werden unter www.boersenblatt.net/plakat.

Wie trotzt man einem Internet-Giganten, der kostenlose Lieferung überall & zu jeder Zeit verspricht? Mit einem Abholservice, der es Buchhandlungen in Kooperation z.B. mit Bäckereien, Cafés und Restaurants ermöglicht, das Bücher auch nach Geschäftsschluss – oder vor der Öffnung – bequem im Stadtteil abgeholt werden können. Der Ziegelbrenner findet: eine gute Idee!

Eine u.a. von der Stiftung Lesen vorgelegte Vorlesestudie kam unlängst zum Resultat, daß es Kindern gefällt, wenn ihnen vorgelesen wird – ja, sie wünschen sich vielfach gar, das ihnen häufiger vorgelesen wird, als es derzeit geschieht. Schafft 1, 2, 3, viele Vorlesetage! Siehe: https://www.stiftunglesen.de/institut-fuer-lese-und-medienforschung/forschungsprojekte/vorlesestudie

Ein Wermutstropfen auf die alles in allem diesmal recht positiven Nutzen: immer weniger Menschen nutzen die Beratung im lokalen Buchhandel und lassen sich von der dortigen Buchauswahl inspirieren, während die Bedeutung des Internets für die Informationsbeschaffung auch in diesem Bereich zunimmt. Zu diesem Fazit kommt zumindest der Digitalverband „Bitkom“ in einer Untersuchung.

Auf Papier gibt es nicht nur Bücher und allerlei andere Schreibwaren – das Berliner Label „I like Paper“ hat, quasi als Gegenmodell zu den eingangs erwähnten teuren, oft klunkerschweren Luxusuhren, die Pappwatch entwickelt, die aus beschichtetem, reißfestem Papier besteht und in diversen Designs erhältlich ist. In diesem Sinne: Ich wünsche allen LeserInnen viel herbstliche Lese-Zeit!

Es grüßt

Der Ziegelbrenner