Zweiunddreißigster Einwurf des Ziegelbrenners

Buch? Handel? Zukunft? – Anmerkungen zur Buchkultur, Teil IX

Liebe Freundinnen und Freunde des gedruckten Buches,

vor einiger Zeit empfahl eine Buchhändlerin im „Börsenblatt des deutschen Buchhandels“ ernsthaft, sich als Buchhändler/in „eine Stunde pro Woche um sich selbst zu kümmern“. Das sagt einiges über die Arbeitsbedingungen aus. Ja, die Bedingungen in der Buchbranche werden härter. Nicht nur, dass die „Monopolkommission“ immer wieder den Wegfall der Buchpreisbindung fordert, wodurch das nach wie vor allem aus kleineren, unabhängigen Buchhandlungen bestehende Buchladennetz nachhaltig zerstört würde. Auch die Post wirkt an der Zerstörung der Branche mit: ab 1.7. will sie die Büchersendungstarife drastisch verteuern und über die Zusammenlegung mit der Warensendung die bisher aus kulturpolitischen Erwägungen ermäßigten Büchersendungs-Tarife faktisch abschaffen. Dies versucht der Börsenverein des deutschen Buchhandels über eine Beschwerde beim Bundeskartellamt noch zu verhindern. Die geplante Änderung bewirkt vor allem eines: die Marktmacht des Platzhirsches Amazon, der über Sonderdeals mit der Post verfügt, wird weiter ausgebaut. Ich zitiere die Reaktion der Kurt-Wolff-Stiftung (einer Interessenvertretung unabhängiger Verlage) hierzu:

„Die angekündigte Portoerhöhung der Deutschen Post, bei der die Gebühr für eine Büchersendung um bis zu 60 Prozent steigen soll, zeigt vor allem eines: Weiterhin müssen sich die unabhängigen Verlage – nein, müssen sich alle Verlage – auf Rückschläge einstellen. Derartige Maßnahmen treffen die Branche besonders, denn die vergünstigten Büchersendungen dienten auch stets der Förderung der allgemeinen Bildung und der Bibliodiversität und minderten den Wettbewerbsdruck in einem Wirtschaftszweig, der durch den Handel des Kulturgutes Buch immer mehr ist als nur ein Markt. Dass die Deutsche Post AG, an der die öffentliche Hand immer noch mehr als ein Fünftel der Anteile hält, nun offenkundig lieber den Onlineversendern vergünstigte Tarife andient und so eine äußerst fragwürdige Form der Wirtschaftsförderung für jene betreibt, die jedes Steuerschlupfloch nutzen, halten wir darüber hinaus auch für gesellschaftspolitisch äußerst bedenklich.“

Warum aber überhaupt Printmedien fördern, wo es doch so praktische e-books gibt? Die Stavanger-Erklärung von über 130 Leseforschern (und Forscherinnen?) hat 2019 die Vorteile des gedruckten Buches erneut unterstrichen. Eine Metastudie von gut 50 Studien mit zusammen mehr als 170000 Teilnehmern zeigt, dass das Verständnis langer Informationstexte beim Lesen auf Papier besser ist als beim Bildschirmlesen. Bücher sind übrigens gemäß einem UNESCO-Übereinkommen von 2005 Güter „wirtschaftlicher als auch kultureller Natur“, denn sie seien „Träger von Werten und Sinn“ und dürfen daher nicht so behandelt werden, als hätten sie nur einen kommerziellen Wert. Aus dem Büro von Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist bezüglich der Post-Tarifpläne zu hören: „Da es einer der Kernanliegen der Staatsministerin ist, das Kulturgut Buch zu schützen, hat sie an geeigneter Stelle bereits auf die höchst problematischen Folgen der geplanten Preisumstellung hingewiesen. Ich hoffe, dass die Post AG am Ende ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, ja Verpflichtung für die Kultur gerecht wird“. Es wäre eine Verantwortungsübernahme in letzter Minute.

„Das Buch behauptet sich“, so wird Zweckoptimismus von der Branche verbreitet (https://www.fr.de/frankfurt/petra-roth-per40117/buch-behauptet-sich-11030430.html). Tatsächlich ist die Zahl der Menschen, die Bücher kauften, erstmals seit 2012 wieder leicht gestiegen. Nach wie vor macht die Buchbranche hierzulande mehr Umsatz als Musikindustrie, Filmwirtschaft und Computer-Game-Produzenten zusammen. Ob das aber reicht, die Abwärtsspirale zu stoppen und den steigenden Kostendruck auszugleichen? Immerhin punktet das Buch bei der Aufmachung. Gerne greifen jene, die noch Bücher lesen (und sie sich leisten können) zur teureren, gebundenen Ausgabe – weshalb trotz sinkender Auflagen die Umsätze stabil bleiben -, und zunehmend wird bei der Buchherstellung auf höherwertige Papiere gesetzt. Denn auch wenn IT-fixierte Berichterstattung das oft vergessen macht – Lesen hat immer noch mit Emotion, Freude und Begeisterung zu tun, es bietet intensivere Entdeckungsreisen und Anregungen als das e-book.

Leseförderung tut weiterhin not, und ein Qualitätssiegel „Buchkindergarten“ ist da ein Anfang (Schirmherrschaft hat übrigens „Sams“-Autor Paul Maar). Tatsächlich zeigte die Kinder-Medien-Studie 2018, dass Bücher bei den bis zu 13jährigen (der untersuchten Alterskohorte) weiterhin eine große Rolle spielen, und zwar ganz überwiegend am liebsten in Papierform. Doch wenn Verlage nun schon Bücher herstellen, die dem „Lese- und Informationsaufnahmeverhalten unserer Zeit“ entsprechen sollen (beim renommierten Wissenschaftsverlag Springer) bin ich doch skeptisch. Dazu passt, dass so manche Schullektüre eher eine Maßnahme in Sachen Leselustvermeidung zu sein scheint. Klett Kinderbuch-Verlagsleiterin Osberghaus wies darauf hin, dass das „Sams“ in den Buchillustrationen immer schlanker wird – offenbar sollen Kinderbücher vor allem den Wünschen und Schönheitsidealen der Erwachsenen entsprechen. Auch dies eine fragwürdige Entwicklung.

Es folgt der Werbeblock:

Vor gut 50 Jahren erschien das „Weiße Album“ der Beatles. Die Band war jedoch vorher schon ein paar Jahre aktiv. Zu den ersten Beatles-Fotografen bei ihren legendären Hamburger Auftritten im „Kaiserkeller“ und im „Star Club“ in den frühen 1960er Jahren gehörte Günter Zint. Bücher aus Zints Bibliothek sowie signierte Fotografien von ihm stellt mein Antiquariatskatalog vor: https://www.ziegelbrenner.com/produkt/bibliothek-guenter-zint-fotograf-augenzeuge-chronist-katalog-2018/. „Viel mehr als ein Katalog“ sei dieses Werk, lobten die Kollegen von „Zapata“ (Kiel). Auch Erwähnung im TV fand der Katalog, von Günter himself (ab ca. Min. 44:30): https://www.youtube.com/watch?v=DvOHTxQMb9g&t=116s

Vor gut 100 Jahren wurde mit der Niederschlagung der Bayrischen Räterepublik das Ende der Rätebewegung besiegelt. In den unterschiedlichen Hotspots der Rätebewegung fanden dazu in den letzten Monaten etliche Veranstaltungen statt. Literatur zum Thema gibt es in meinem Shop unter: https://www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/novemberrevolution-raetebewegung-1918-19/

Bücher können „Brücken bauen über Meere, Kontinente und Schicksale hinweg. Der Buchhandel kann eine Menge für die Flüchtlingshilfe tun, in dem er die Menschen mitnimmt und über seine Bücher wachrüttelt“, so der Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshelfer nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass seit 2014 rund 18.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertranken. Wachrütteln tut allerdings not. Mittlerweile hat Italien das Helfen verboten, man lässt Flüchtlinge lieber ersaufen als nach Europa. In Frankreich zählte Amnesty International zwischen November 2017 und Juni 2018 646 Fälle polizeilicher Schikanen gegen Ehrenamtliche. Und die deutsche Regierung setzt beharrlich auf Libyen als Partner bei der Migrationspolitik, obwohl das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen immer wieder auf die haarsträubende, lebensgefährliche Lage dort hinweist. Nach dem Motto: in der Wüste stirbt es sich wenigstens noch leiser. Die Ursachen der Fluchtbewegungen und die Lebensbedingungen der Geflüchteten geraten indessen aus dem Blick. Meine Rubrik „Flucht & Migration“ bietet Hintergründe: https://www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/migration-asyl/

Das Problem heißt nicht Migration, das Problem heißt Rassismus. Nun ist es erstmals quasi offiziell: Polizei, Bundespolizei und Bundeswehr driften nach rechts ab. Sagt jedenfalls Friedrich Merz (Angela Merkel tut, was sie tun muss, sie widerspricht). Gut, Menschen, die nicht auf dem rechten Auge blind sind, können dies schon lange wissen. In einem Bericht hielt Amnesty International bereits 2016 fest, dass der deutsche Staat „nicht in der Lage ist, Menschen vernünftig vor rassistischen Angriffen zu schützen“. Oder dies eben auch nicht will. Die „taz“ berichtete vor gut einem halben Jahr über eine „Schattenarmee“. Verfassungsschutzchef Maaßen wirkte gar als Imageberater für die AfD: er hatte der Partei Tipps gegeben, wie die Partei es anstellen könnte, nicht durch den Staatsschutz beobachtet zu werden. Und schon auf den AfD-Kandidatenlisten für die letzte Bundestagswahl standen auffallend viele Polizisten, was selbst die Springer-Presse bemerkte. Siehe zum Thema z.B. auch die Grundrechte-Reporte, die Zeitschrift „Bürgerrechte & Polizei“ sowie die Bücher von Rolf Gössner in meiner Kriminologie-Rubrik: https://www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/kriminologie/.

Ein Hinweis mit Bitte um Beachtung: „Mehr denn je braucht unsere Gesellschaft Räume in denen kritisches und freies Denken Platz finden“, meint die „Anarchistische Bibliothek“ in Wien. Wenn ich mir die Zeitläufe so anschaue kann ich da nur zustimmen. Nun sucht die von Verdrängung betroffene, derzeit zwischengelagerte Bibliothek dringend Unterstützung, um mit einem Hauskauf langfristig unabhängig zu werden. Infos unter a-bibliothek.org.

Weiterhin werden meine Einwürfe gerne gelobt. „Bitte weiter so“ meinte ein Leser nach dem letzten Einwurf, er freue sich „jedes Mal über diese mails“. „Immer gerne“ werden die Einwürfe auch von einer langjährigen politischen Aktivistin aus Stuttgart gelesen. Eine Leserin aus der Schweiz wünscht sich „gern noch viel mehr Biss und Ironie“. Gern – ich arbeite dran.

Die Antiquariatsplattformen ZVAB und Abebooks arbeiten zwar noch unter eigenem Design, gehören aber seit Jahren zum Amazon-Konzernkonglomerat, das damit eine enorme Dominanz von gut 80% des Marktes im deutschsprachigen Raum in diesem Bereich hat. Ich weise daher nachdrücklich auf die Möglichkeit von Direktbestellungen über meine eigene Homepage www.ziegelbrenner.com hin.

Ohnehin lohnt es derzeit, antiquarische Bücher zu kaufen. Denn der Preisverfall nach unten hat ein Ende gefunden. Billiger als 1 Cent geht eben nicht (außer in öffentlichen Verschenk-Kisten). Inzwischen sind so viele Bücher schlicht entsorgt worden, dass in einigen Teilen bereits ein Preisanstieg zu beobachten ist. Ganze Verlagsproduktionen, auch linker Verlage, werden „makuliert“, wie es so schön statt „vernichtet“ heißt, so etwa vom eingestellten Frauenbuchverlag „Frauenoffensive“ – die Lagergebühren waren höher als die Erlöse aus dem Abverkauf. Amazon übrigens ist keineswegs immer die günstigste Einkaufsquelle – wenn ich ab und zu mal stichprobenartig meine Preise checke kann ich dies immer wieder feststellen. Manches mal habe ich Titel für ein paar Euro eingestellt, die bei Amazon bereits für ein Mehrfaches gehandelt werden. So etwa Thomas Kapielskis Heft „Ungares Gulasch“, das bei Amazon in den letzten Monaten zwischen 18 und 100 Euro gehandelt wurde. Bei mir kann es für 4 Euro bestellt werden.

Bis zum nächsten Einwurf grüßt

Der Ziegelbrenner

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