Neunzehnter Einwurf des Ziegelbrenners

Ja, Bücher! – Der Buchmesse-Eröffnungs-Einwurf

Neulich in einer kleinen Buchhandlung: ich frage, ob von den BetreiberInnen jemand zur Frankfurter Buchmesse fährt. Nein, das schaffe man nicht, wegen der vielen Jobs, hieß die Antwort. Viele Jobs? Ja, der Laden trägt sich auch nach etlichen Jahren noch nicht von alleine, so dass die MitarbeiterInnen zwecks Broterwerb noch weiteren Tätigkeiten nachgehen müssen, um sich den Luxus des Buchladens leisten zu können. Und das, obwohl der Laden im Stadtteil recht gut vernetzt ist. Das ist kein Einzelfall: viele Buchläden tragen sich nicht ökonomisch, sie werden durch Nebentätigkeiten ermöglicht, oder durch vermögendere LebenspartnerInnen. Was wieder einmal meine Ansicht bestärkt, dass diese Branche dringend subventionsbedürftig ist, wenn es die immer noch lebendige Buch(handels)kultur im deutschsprachigen Raum auch weiterhin geben soll. Es sei denn, man stellt das Zwitterwesen des Buchmarktes, zwischen Marktorientierung und kulturvermittelndem Anspruch, als obsolet zur Disposition. Mich würde zu diesem Thema natürlich besonders die Meinung der BuchhändlerInnen unter den LeserInnen meiner Einwürfe interessieren!

Doch ich will mich angesichts des oft ohnehin schon grauen, herbstlichen Oktober-Wetters mal an einem Einwurf versuchen, der hoffentlich ohne allzu viel Gejammer daherkommt. Amazon, digitale Demenz, Preisverfall, Büchervernichtung? In den nächsten Einwürfen dazu wieder mehr. Dieses mal aber will ich, nach der einleitend vorangestellten etwas trüben Zustandsbeschreibung, vor allem das Lob des guten Buches – und des guten Buchladens – in den Mittelpunkt stellen.

Ich fahre selbst ja nur noch unregelmäßig zur Buchmesse. Wenn ich fahre, dann nicht mehr unter gewerblicher Perspektive, sondern mit dem Blick des leidenschaftlichen Buch-Liebhabers. So bin ich dieses Jahr gespannt auf die niederländisch/ flämische Buchillustrationskunst. Denn „dank e-books sind Bücher wieder schön geworden“ (Mark Forsyth: Lob der guten Buchhandlung). Apropos Niederlande: eines der wichtigsten niederländischen Bücher überhaupt habe ich vor ein paar Jahren neu aufgelegt, nämlich „Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der Niederländischen Handels-Gesellschaft “ von Multatuli. Der Autor beschreibt in diesem erstmals 1860 erschienenen Roman den Kampf eines Kolonialbeamten Max gegen die korrupte Kolonialregierung. Es entstand ein Klassiker der sozialkritischen, realistischen Literatur. „Ein unglaublich emotionales politisches Pamphlet“  meinte dazu der niederländische Schriftsteller Leon de Winter. Das Buch ist, solide gebunden, weiterhin für 24,80 Euro bei mir erhältlich (Bestellnummer 30823).

Vor wenigen Tagen verstarb der Literatur-Nobelpreisträger Dario Fo, knapp sechs Jahre nach seinem deutschen Übersetzer Peter O. Chotjewitz, den – er war selbst als Schriftsteller tätig – ich noch als Gast nach Bremen zu einer Lesung einladen konnte und als wunderbaren, sympathischen Menschen kennen lernte. Fo dagegen ist mir nur durch seine Publikationen bekannt – begeistert haben mich seine großartigen, humorvollen, anarchisch-anarchistischen Texte allemal. Dieses Jahr wurde der Literatur-Nobelpreis (an Bob Dylan) ja bereits ein paar Tage vor der Frankfurter Buchmesse verliehen. 1997, als Dario Fo ihn bekam, war ich selbst auf der Buchmesse, als die Nachricht bekannt gegeben wurde und die Verlage seiner Bücher – allen voran Rotbuch – innerhalb weniger Stunden hektisch Nachdrucke ankündigten. Das ist nun bald 20 Jahre her, und die wenigsten Fo-Bücher (viele zusammen mit seiner Lebensgefährtin Franca Rame publiziert) sind derzeit in deutscher Übersetzung lieferbar. Lesenswert sind sie weiterhin, ich kann die Lektüre der Fo-/ Rame-Bücher daher nur wärmstens empfehlen.

Ja, Bücher! Dazu gleich ein Zitat, das mir zur Leistungsschau der Buchbranche – eben der Buchmesse – sehr zu passen scheint: „Ich mache mir die Freude, meinen Patienten Bücher zu verschreiben, jenen Kunden also, die bereit sind, mir ihre Symptome zu nennen. Manche Leute haben ihre Lesefähigkeit verkümmern lassen, so dass mir nur noch die Autopsie bleibt. Die meisten aber sind noch heilbar. Niemand ist so dankbar wie der Mensch, dem man genau das Buch gegeben hat, das seine Seele brauchte, obgleich er es nicht wusste“ (Christopher Morley: Das Haus der vergessenen Bücher). Lieber in den Buchladen gehen statt in die Apotheke in der Tat, Bücher sollte es auf Rezept geben – aktuelle neurowissenschaftliche Forschungen belegen, das Lesen die geistige Gesundheit fördert… So ein Buch will natürlich sorgfältig beschafft werden – hier empfiehlt sich die gute Buchhandlung. Gut 100 Buchläden wurden unlängst übrigens für den Deutschen Buchhandlungspreis nominiert.

Denn es gibt sie noch, die guten Buchhandlungen. Nominiert wurden u.a. die Buchhandlung Gastl (Tübingen), Kulturbuchhandlung Jastram (Ulm), Buchladen Sputnik (Potsdam), Buchladen Osterstraße (Hamburg), Karl Marx Buchhandlung (Frankfurt), BiBaBuZe (Düsseldorf), Der andere Buchladen (Köln), Blaue Blume (Kaiserslautern), Peter Panter Buchladen (Meldorf) – sie alle sind mir schon seit vielen Jahren (noch aus der Zeit der Anares Föderation) bekannt. Meinen Glückwunsch! Es fällt auf, das es sich überwiegend um Buchhandlungen handelt, die wirklich noch Orte der Begegnung sind. Buchhandlungen, die Lesungen und Debatten rund ums Buch organisieren. Und Buchhandlungen, die auszuwählen wissen: „Es reicht nicht aus, gute Bücher anzubieten, man darf keine schlechten haben“ (Mark Forsyth). In diesen – und weiteren – Buchhandlungen lernte ich wundervolle BuchhändlerInnen kennen, die mir (der ich selbst kein ausgebildeter Buchhändler bin, sondern Autodidakt in Sachen Buchleidenschaft) die faszinierende literarische Welt als versierte KartographInnen eröffneten. Vielen Dank!

Außergewöhnliche Buchorte fand ich auch auf meiner Italienreise. „La Feltrinelli“ etwa, die größte Buchhandelskette Italiens, hat linke Wurzeln. Zwar gibt es auch Harry Potter, Esoterik, Schreibwaren und vieles mehr – doch haben nach wie vor Karl Marx, Noam Chomsky, Eduardo Galeano etc. ihre eigenen Regal-Schilder. Es gibt Bücher zum Antifaschismus, über den Anarchismus, die französischen Philosophen und vieles mehr, und das alles in Bahnhofsbuchhandlungen und guten Einkaufslagen, was hierzulande undenkbar wäre. Die „Libreria Acqua Alta“ in Venedig steht ganz oben auf der Liste der schönsten Buchhandlungen der Welt – es ist auf jeden Fall eine der originellsten, verwunschensten, originellsten, man kann dort stundenlang stöbern. Ein aussergewöhnlicher Ort in dieser nicht nur von Wasser, sondern auch von TouristInnen inzwischen überschwemmten Stadt. In Turin sind natürlich die Bücherschranke an den Arkaden bei der Universität immer einen Ausflug wert. Und in der  internationalen „Libreria Luxemburg“, deren Wurzeln in das 19. Jahrhundert zurückreichen, hat man  – in bester Fußgängerzonen-Lage – ein Regal für Bücher von Oscar Wilde reserviert. Ferner gibt es bibliophile Buchkunst, illustrierte Bücher und eine Judaica-Abteilung. Das Hotel „Chez Toi“ im kleinen Oulx – ein guter Ausgangspunkt für Wanderungen im Piemont – nennt sich nicht „Bücherhotel“, und ist doch von Literatur geprägt: als Eingang ein langer Gewölbegang, links und rechts von Büchern gesäumt. Die Zimmer heißen Alexandre Dumas, Mark Twain, Emily Bronte, Georges Simenon, Charles Dickens. Und was ist Eure Lieblingsbuchhandlung?

Immer wieder werden meine Einwürfe mit Lob überschüttet, z.B.: „Ihre Ziegelbrenner-Einwürfe lese ich gerne…Ich bin über Ihre Texte wirklich begeistert, immer!“   Ja, natürlich dürfen sie mit Quellenangabe auch gerne an Zeitschriften und Online-Magazine weitergeleitet und auf Blogs und Facebook-Seiten etc. gepostet werden. Ich wünsche allerseits einen wilden, inspirierenden, herzerwärmenden Lese-Herbst!