Holz Klaus, Haury Thomas

Antisemitismus gegen Israel

35,00

3-4 Werktage

Nur noch 1 vorrätig

Beschreibung

Gerhard Hanloser kommt auf kritisch-lesen.de zu einem skeptischen Resultat seiner Lektüre: Im Abschnitt über Antisemitismus von links werden nochmals bekannte Quellfunde präsentiert, viele aus den maoistischen K-Gruppen der 1970er Jahre oder der DDR-Ideologie. Sie gehen allesamt in einer Melange aus Affirmation eines nationalistischen Volksbegriffs, einer simplizistischen Frontstellung gegenüber „dem Imperialismus“ und einer Dämonisierung Israels zuweilen über den aufklärerischen und materialistischen – also auf den wirklichen Konflikt um Land im Nahen Osten bezogenen – Rahmen des Marxismus oder imperialismustheoretischer Analysen hinaus und nehmen zumindest sprachlich Anklänge an antisemitischen Feindschaftserklärungen. Die beiden Autoren machen dafür „[d]as dichotome antiimperialistische Weltbild“ (S. 130) verantwortlich. Auffallend und problematisch ist, dass Henryk M. Broder hierbei als historische Referenzfigur in Sachen „Antisemitismus von links“ angegeben wird, obwohl dessen Seriosität in der Quellenarbeit von mehreren Historiker*innen in Zweifel gezogen wurde. Allerdings attestieren die beiden Autoren der Linken in Deutschland in Hinblick auf die Behandlung der Nahostproblematik und dem Israelbild „Lernerfolge“ (S. 240). Worin diese allerdings bestehen, wird nicht näher ausgeführt; andere Autor*innen machen ja gerade in Deutschland und unter sich aktuell links fühlenden Protagonist*innen einen „postarischen Streberzionismus“ aus (etwa Per Leo). Tatsächlich könnte man auch zu dem Ergebnis kommen, dass vor dem Hintergrund eines deutschen Schuldbewusstseins notwendige Kritik an israelischer Politik zuweilen ausgespart bleibt. Sollte diese Diagnose stimmen, wären auch diese „Lernerfolge“ der deutschen Linken zweifelhaft. Für Haury und Holz scheinen besonders aktuelle Protagonist*innen einer Palästina-Solidarität von einem „Antisemitismus gegen Israel“ angetrieben, wobei sie auch hier differenzieren: Die Boykottbewegung BDS sei „erstens zwar nicht komplett antisemitisch, aber erhebliche Teile von BDS sind eindeutig antisemitisch“ (S. 220). Allerdings schliesst sich hier wiederum die Frage an, von welchen BDS-Gruppen gesprochen wird. In Berlin beispielsweise sind es oftmals linke bis linksradikale Israelis, für die die gewaltfreie Boykottforderung ein Austritt aus dem Teufelskreislauf von Besatzung, Terror und Staatsterrorismus verspricht. Mit Haury und Holz kann man aber d‘accord gehen, dass die „Solidarisierung mit BDS im Namen von Anti-Rassismus, Universalismus und Menschenrechten“ zu einer Verstrickung in „schwerste Selbstwidersprüche“ (ebd.) führt. Denn tatsächlich haben weltweit in dieser Organisation islamistische, autoritäre, antifeministische und homophobe Positionen eine Stimme. BDS hat also in der Tat ein Abgrenzungsproblem. Dennoch werden reaktionäre Stimmen von den linken, aufklärerischen, sogar queer-feministischen, neutralisiert. Eine Autorin, die in diesem Zusammenhang prominent behandelt wird, ist die Philosophin Judith Butler, der die beiden Antisemitismuswissenschaftler hauptsächlich vorhalten, dass sie BDS kritiklos unterstütze und Antisemitismus als eine Kategorie des Rassismus behandele. Allerdings müssen sie festhalten: „Ihr Text selbst reproduziert jedoch keine antisemitischen Stereotype.“ (S. 221) Warum sie dennoch prominent Beachtung in einem Buch unter dem oben diskutierten Titel findet, ist folglich fragwürdig. Irritierend unklar bleibt insgesamt die Auseinandersetzung mit linken Protagonist*innen der Israelkritik. Hier scheitern die Autoren auch an ihrem Anspruch, hermeneutisch zu arbeiten. So wird ausgerechnet der Theologe Ulrich Duchrow als Vertreter einer „antijudaistischen Palästina-Solidarität“ (S. 288) bezeichnet. Bei diesem liegt allerdings eher – um mit dem Moralphilosophen Michael Walzer zu sprechen – eine merkwürdige Form von Philosemitismus vor, der erwarte, dass „die Juden eine höhere, universelle Moralität repräsentieren würden“ (Walzer 2004, S. 53). In dieser verheerenden Logik kann man sich dann empört abwenden, wenn die realen Jüdinnen und Juden oder Israelis diesem an sie herangetragenen Ideal nicht entsprechen. Dies trifft sicherlich auf Duchrow zu. Schliesslich versucht dieser theologisch-aktivistisch und unter positivem Verweis auf „Propheten und Thora“ das Regierungshandeln Israels als vom eigentlich rebellischen Anspruch des Juden Jesus entfremdetes Handeln zu kritisieren. Das kann als problematische Moralisierung kritisiert werden, aber zum gewichtigen und gefährlichen Protagonisten eines „Antisemitismus gegen Israel“ wird Duchrow so mitnichten… So bleibt der Befund doch etwas dünn: Einige Beispiele eines vermeintlichen „Antisemitismus gegen Israel“ sind schlicht „Israelkritik“, so falsch man sie auch finden mag. Handfester Antisemitismus, der Israel ins Zentrum seiner Aggression rückt, bleibt so entweder Nazi-Ideologie oder folgt einer antisemitischen Verschwörungsmythologie, die „Israel“ oder „die Zionisten“ in die Rolle bringt, die vor Auschwitz ganz direkt „dem Juden“ zuteil wurde: Strippenzieher, Inkarnation des Bösen, mächtiger Verantwortlicher wie Profiteur aller möglichen Erscheinungen der kapitalistischen Moderne. Hier liefert das Buch klarerweise wenig neue Erkenntnisse. Es bleibt auch fraglich, wie sich die beiden Autoren zu tagesaktuellen Themen und Streitpunkten stellen, wie zum Beispiel der Amnesty International-Positionierung, wonach Israel ein „Apartheid-Staat“ sei. Hermeneutik als Anspruch ist edel, aber die Sache selbst muss immer noch der Bewertungsmassstab sein, ob ein Urteil falsch oder richtig ist. Erst dann könnte man klären, ob die Verkehrung oder eine falsche Zeichnung antisemitischen Motiven folgt. Ohne eine klare Darlegung des Gegenstands, also Israels, das ja nicht nur Heimstätte der Juden sein will, sondern auch Besatzungsmacht ist, lässt sich nur schwer sagen, ob man von Antisemitismus gegen Israel sprechen kann.

Zusätzliche Information

Gewicht 600 g
Zustand

sehr guter Zustand, 419 S., Pappband, geb.

Autor

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2021

Verlag