Ebbinghaus Angelika

Der Fall Anna S. – Vier Stimmen

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Beschreibung

Anna S. kam im April 1832 als Magd nach Würzburg, in den Haushalt des verheirateten Spenglermeisters Georg Meck, eines Handwerkers, der in der Zeit des Vormärz demokratisch gesonnen und auf Versammlungen wie dem „Gaibacher Fest“ war. Mecks Frau Margareta war, wie es seinerzeit hieß, „gemütskrank“, und in längerer Behandlung im Würzburger Juliusspital, einem im 16. Jahrhundert für „allerhand Sorten Arme, Kranke, unvermugliche, auch schadhafte Leut“ gegründeten und bis heute bestehenden Krankenhaus. Die „Geisteskrankenabteilung“ des Hauses war damals, zu einer Zeit, als „Irre“ zumeist schlicht weggesperrt und angekettet, wenn nicht zur Schau gestellt wurden (oder gar beides zugleich), vergleichsweise modern (in der Chronik auf der Homepage des Krankenhauses klaffen augenfällige Lücken sowohl im 19. Jahrhundert wie in der NS-Zeit) .Nun gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, was geschah: Anna und Georg verlieben sich während Margaretas Zeit in der Psychiatrie und beginnen ein Verhältnis. Dieses endet, wenigstens scheinbar, mit der unehrenhaften Ausweisung Annas aus der Stadt, als diese schwanger wird. Dennoch macht sich Anna Hoffnungen, zu guter Letzt doch noch Georgs Ehefrau zu werden, muss allerdings erfahren, dass Margareta nun nach ihr ebenfalls schwanger wurde. Am 27. Februar 1834 begibt Anna sich in die Meck´sche Wohnung, wo Margareta sich zu dieser Zeit alleine aufhält und ersticht diese. Anna wird bald verhaftet, wegen Doppelmordes an der Schwangeren zur „verschärften Todesstrafe“ verurteilt – diese besteht in einer zusätzlichen Zurschaustellung im Pranger vor der Hinrichtung, die ihr dann allerdings von König Ludwig I. erlassen wird – und am 17. Januar 1835 unter den Blicken einer enormen Menschenmenge hingerichtet. So weit die alles in allem doch eher dünnen Fakten, die bislang noch nicht umfassender Weise aufgearbeitet, in Buchform gar, ihren Niederschlag gefunden hatten. Angelika Ebbinghaus nimmt sich diesem historischen Stoff nun in literarischer Form an – literarisch einerseits insofern, als dass Ebbinghaus, eine ausgebildete Psychologin und Historikerin, hier ohne Quellennachweise arbeitet. Literarisch aber vor allem auch in der Form, mit der sie hier nacheinander fiktionalisiert – doch nahe am Möglichen – Margaretas, Annas und Georgs Empfindungen und Gedanken nachzeichnet. Schließlich bringt sie – richtig, es sind ja vier Stimmen – auch sich selbst noch in einer Art Zeitschleife (sie nennt es „posthumen Besuch“) ins Spiel, im Gespräch mit dem Juristen Franz Vogt, einem damaligen Gegner der Todesstrafe. Angelika Ebbinghaus schritt in ihren bisherigen Veröffentlichungen rund um die Medizin-, Frauen- und Sozialgeschichte das Terrain ab, in dem sich „Der Fall Anna S.“ abspielt. Das kommt diesem Buch zugute. So kann sie, ganz Historikerin, kritische Quellenkunde betreiben, Material sichten, abwägen und mögliche Fakten herausschälen. Und die Autorin hat hier ein exemplarisches Stück Geschichte aufgetan, in dem sich ihre bisherigen Forschungsarbeiten durchkreuzen, so der Psychiatrie- und Justizgeschichte: was waren das für Verhältnisse, unter denen die Frauen damals lebten? Ist Anna S. tatsächlich die (alleinige) Täterin? Wurde sie angestiftet zum Töten? Handelte sie geplant oder im Affekt? Ist sie ein Opfer der Verhältnisse, die eine unehelich Schwangere ins gesellschaftliche Abseits stellten? Und gibt es eine Rechtfertigung für die physische Vernichtung – praktisch eine legale Ermordung – einer Mörderin? Ebbinghaus hat ein Buch der stillen Töne verfasst, was das Geschehen umso eindringlicher wirken lässt. Ihre Sätze sind präzise und dabei alles andere als spröde, die Sprache ist nicht gestelzt oder effektheischend. Deutlich wird das Bemühen, Margareta, Anna und Georg verstehen zu wollen – alle drei hatten, dies macht Ebbinghaus deutlich, in ihrer Zeit nur sehr begrenzte Optionen. Ebbinghaus´ wissenschaftliche Arbeiten sind durch die Bank sehr empfehlenswert. Mit diesem Buch hat die Autorin bewiesen, dass sie eine Meisterin auch der literarischen – sich dabei dicht an der realen Geschichte, am realen Leben orientierenden – Form ist. (Gerald Grüneklee, verändert abgedruckt als Rezension in den „Libertären Buchseiten“ der Zeitschrift „Graswurzelrevolution“ (Nr. 478, April 2023).

Zusätzliche Information

Gewicht 600 g
Zustand

175 S., kart.

Auflage

EA

Autor

Erscheinungsort

Röttenbach

Erscheinungsjahr

2022

ISBN/ISSN-Nummer

978-3-910284-54-8

Verlag