29. März 2015 Siebter Einwurf des Ziegelbrenners Hoch die Spassguerilla! Wochenlang treibt das Land die Frage um, ob der griechische Finanzminister nun tatsächlich einen Stinkefinger gezeigt hat, oder ob dies nur ein Fake war. Ein Kabarettist behauptet, er haben die Geste in das Video einmontiert, der Minister dementiert, der Kabarettist soll seinen Beitrag gefälscht haben… – sehr schön, so muß Spassguerilla funktionieren: als Entlarvung eines medialen und politischen Betriebes, in dem es nicht um Information und Aufklärung geht, sondern um den Wert der Ware Nachricht und um WählerInnenstimmen. Das Buch „Spassguerrilla“ (gibt´s für 14 Euro zzgl. Versand auch beim Ziegelbrenner) gehört jedenfalls nach wie vor zu den Lieblingsbüchern des Ziegelbrenners, auch wenn die Beispiele darin schon älter sind – die Demaskierung der Autoritäten, ihre Lächerlichmachung, das Entreißen der glänzenden Fassaden, die Entlarvung (und die oft sehr bemerkenswerten, beredten Reaktionen eben darauf) sind durchaus zeitlose Methoden. Zu danken ist also den Herren Varoufakis und Böhmermann für ihre lehrreichen Beiträge in dieser Sache! „Die Revolution beginnt an der Basis“ informiert uns eine Matratzen-Werbung. Georg Büchner wurde nur 23 Jahre alt, doch in diesem kurzen Leben wurde er Mediziner, Naturwissenschaftler und Schriftsteller. Nicht zuletzt war er als Revolutionär im Vormärz aktiv. Marc-Uwe Kling, Autor der „Känguru-Chroniken“ (mittlerweile erschien als dritter Band „Die Känguru-Offenbarung“, gibt´s für 9,99 Euro zzgl. Versand beim Ziegelbrenner), beantwortet die Frage wie dies alles in solch kurzem Leben möglich war, dass Büchner schließlich keinen Mail-Account, kein Facebook, kein Twitter hatte. Tatsächlich, wir befinden uns inmitten einer gigantischen, globalen, zeitfressenden Blödsinnsmaschine, „machen alles und erleben nichts“ (Umair Haque in der „taz“). Wir müssen (oder meinen zu müssen) immer etwas tun. Selbst Beziehungen sind heute „Arbeit“. So heisst es dauernd tätig sein im Rauschen der Medien, zu chatten, Freundschaftsanfragen zu beantworten und zwischendurch den Körper zu „optimieren“. Wo bleibt in diesem dauernden Sperrfeuer der Rastlosigkeit – welche zudem noch einer fortwährenden Beschleunigung ausgesetzt ist -, in diesem Surrogat des „Lebens“ noch die Besinnung auf unsere Begierden und Leidenschaften? Leben wir wahre Wünsche, statt Wünschen, die zur konsumierbaren Ware transformiert werden (was nicht Ware ist haben wir uns auch nicht zu wünschen)! Das Buch ist ein Medium der Muße, zugleich ergo auch ein Medium gegen mediale Dauerberieselung und permanente hektische Betriebsamkeit. Somit wird das Lesen heute vermutlich beinahe schon zu einem revolutionären Akt, zumindest aber zu einem Akt der – wenigstens temporären – Verweigerung. Freilich, das Netz der Buchläden wird löchriger, und dass die Branche es nicht leicht hat wissen die LeserInnen dieser Einwürfe schon längst. Doch gibt es auch positives zu vermelden. Das dem schnellebigen Internet von Jugendlichen weniger geglaubt wird als den Printmedien (JIM-Studie 2014, befragt wurden 12- bis 19-Jährige) erscheint vernünftig. Der e-book-Markt wächst im deutschsprachigen Raum nur langsam (Börsenblatt, 3.3.2015), während die Zahl der Buch-LeserInnen seit Jahren recht stabil bleibt, auch bei den Jugendlichen. Gross ist auch das Interesse an der Leipziger Buchmesse, sie hatte 2015 mehr BesucherInnen als im Vorjahr. Bücher wie wir sie kennen werden uns also noch eine Weile begleiten. „Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert, und mehr als das Blei in der Flinte jenes im Setzkasten der Drucker“ (Georg Christoph Lichtenberg). Der Bleisatz ist zwar weitgehend ausgestorben, doch hier ein kleiner Hinweis: das „Museum der Arbeit“ (Hamburg) hat eine wunderbare Druckerei, in der auch eigene Druckvorhaben noch nach alten Drucktechniken realisiert werden können (http://www.museum-der-arbeit.de). Hier entstanden – und entstehen – Druckwaren, die auch im Museumsshop zu erwerben sind. Ob Bleisatz oder nicht: lest Bücher – am besten die aus dem Laden um die Ecke (nein, nicht die Supermarkt-Grabbelkiste…)! Ja, es gibt sie noch, die guten Buchläden. Diesmal Tipps aus der Schweiz: die „Buchhandlung im Volkshaus“ (Zürich) hat neben dem linken Sortiment viele Fussballbücher, Bücher zur Psychoanalyse („Jelinek, Marx, Freud“ steht auf dem Lesezeichen) eine ausgezeichnete Lyrikabteilung und führt regelmäßig Lesungen durch. „Paranoiy City“ (ebenfalls Zürich) ist auch ein Verlag – u.a. erschien hier das Kultbuch „bolo´bolo“ – und hat das Buchsortiment vor einigen Jahren am neuen Standort um eine gute Auswahl an Weinen ergänzt. Wo wir grad in Zürich verweilen: der „Kinderbuchladen“ – bei seiner Gründung vor bald 50 Jahren erster Kinderbuchladen überhaupt im deutschsprachigen Raum – hat auf satten 400 Quadratmetern eine einzigartige Auswahl an Kinder- und Jugendbüchern. Schliesslich: die Buchhandlung „Librium“ hat im schweizerischen Baden, einem Städtchen von weniger als 20.000 Menschen, lockt schon aufgrund ihrer originellen Einkaufstüte zum Kauf. Dort sind 30 Fragen aufgedruckt, wie „Was ziehen sie vor: gutes Essen, guten Sex oder ein gutes Buch? War das schon immer so?“. Und nicht nur das: wenige kleinstädtische Buchhandlungen haben ein derart ausgewähltes Programm. Und was ist Eure Lieblingsbuchhandlung? Einige Hinweise, nicht zuletzt in eigener Sache. Zunächst schon mal ein Termin zum Vormerken: Vom 24.-26. April findet in Mannheim die 3. Anarchistische Buchmesse statt – eine schöne Veranstaltung mit interessantem Begleitprogramm. Mit dabei ist „Der Ziegelbrenner“. Infos siehe buchmessemannheim.blogsport.eu/ Es gibt eine Initiative für den Wiederaufbau eines Gedenksteins für Gustav Landauer auf dem Münchner Waldfriedhof, die auch „Der Ziegelbrenner“ unterstützt; dies schon, weil Landauer ebenso wie Ret Marut in die Bayerische Räterepublik involviert war, und weil eine solche „Gedenkkultur von unten“ dazu beitragen kann, dass Wissen um die emanzipatorischen Facetten der Geschichte im kollektiven Gedächtnis wachzuhalten. Infos siehe: www.edition-av.de (Menüpunkt Gustav Landauer). Der Ziegelbrenner grüßt den Feuerstuhl – denn der „Feuerstuhl“ ist eine neu an den Start gegangene, entschieden antiautoritäre Zeitschrift, benannt nach einer Geschichte von B. Traven/ Ret Marut. Herausgeber ist Egon Günther, die Zeitschrift erscheint im Verlag Peter Engstler. Infos siehe http://feuerstuhl.org Wie stets: ich freue mich, wenn auf die Einwürfe hingewiesen wird, in Blogs, sozialen Medien etc. PS: Die „Einwürfe“ sind keine Eintagsfliegen – auf die ersten Mailings, wo ich u.a. auf Michael Bakunin einging, kamen Monate später noch Kommentare, die darauf hinwiesen, dass eine sinnvolle Nutzung der Freiheit ohne eine spirituelle/ religiöse Einbindung doch wohl kaum möglich sei. Ich halte es da lieber mit Arno Schmidt: „Ich? Atheist, allerdings! Wie jeder anständige Mensch!“