Vierundsechzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der „Ab die Post“-Einwurf

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Neulich im Bioladen: „ich bin unpolitisch“ sagt ein Kassierer am Kassenband. Den vorangegangenen Teil des Gesprächs habe ich nicht mitbekommen. Nun ist es so, dass in einer parlamentarisch und kapitalistisch organisierten, d.h. von Parteien und Konzernen sowie deren Interessen (Lobbyismus…) dominierten Gesellschaft niemand unpolitisch sein kann. Ich wundere mich immer schon, wo es herkommt, wenn jemand solches behauptet, und warum er/ sie es überhaupt tut. Denn wer „unpolitisch“ ist, ist doch immerhin so politisch, die gegenwärtigen Verhältnisse mindestens zu akzeptieren, wenn nicht gar richtig zu finden. Das ist auch eine politische Botschaft. So ging das Gespräch denn auch weiter, denn im Folgenden meinte dieser Verkäufer, er könne „immer alle verstehen, auch die Parteien“. Wo lebt dieser Mensch denn? Guckt er weg, wenn Krieg ist, wenn Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, nutzt dieser Mensch überhaupt irgendwelche Nachrichtenmedien? Vielleicht hat er ja das Glück, eine gutverdienende Partnerschaft oder Familie zu haben (so toll ist das Gehalt nun wirklich nicht), hat etwas geerbt (wenn auch nicht genug, um nicht mehr arbeiten zu müssen), hat eine bezahlbare Wohnung. Aber wie weit kann man eigentlich die Augen verschließen?

Aus der Perspektive eines Buchvertriebes, der einen Schwerpunkt auf Bücher aus den Bereichen Politik/ Gesellschaft/ Soziales – und hier wiederum vor allem aus gesellschaftskritischem Blickwinkel – legt, ist dies jedenfalls schwer verständlich.

Bevor ich zum Schwerpunkt komme bitte ich noch um Beachtung der untenstehenden Büchertipps. Trotz der Probleme mit der Post sind Bestellungen natürlich immer sehr willkommen! Die Bücher sind teilweise nur begrenzt verfügbar (manchmal nur einmal…), wer schnell zugreift hat eine höhere Chance!

Ja, die Post! Meine langjährige Stammfiliale wurde nun geschlossen. Der Grund: diese von der Post selbst für ihre Qualität mehrfach ausgezeichnete Postniederlassung hatte es gewagt, zwei Wochen Urlaub zu machen! Da musste natürlich ein Exempel statuiert werden. Denn die Post hat eine Pflicht: Gemeinden ab 2.000 Einwohner*innen müssen eine Filiale haben, in Gemeinden mit mehr als 4.000 Einwohnern darf die Entfernung zur Filiale in zusammenhängenden Wohngebieten nicht mehr als zwei Kilometer betragen. Das geht natürlich nicht, wenn dann zu ist. Nur – nun ist eben ganz zu. Und damit ist die Nahversorgung in einem ganzen Stadtteil mit über 9.000 Menschen, die jetzt ohne Filiale dastehen, deutlich verschlechtert. Teils betragen die Wege nun über zwei Kilometer. Je weniger Filialen, desto mehr Schlangen (zumal zwar nicht das Briefpost-, wohl aber das Paketaufkommen ja laufend steigt). Wartezeiten von über 20 Minuten sind schon heute keine Seltenheit. Zumal jedes vierte Paket wieder zurückgeht (im Onlineshopping bestellt man vier Paar Schuhe, wenn man eines haben will). Also: Schlangestehen. An meiner neuen Postfiliale ist nun draußen ein Aufsteller, der zur Kundenbewertung auffordert. Ich soll Sterne vergeben. Und mich dadurch wohl irgendwie gehört fühlen. Allerdings: das bezieht sich auf den konkreten Filialbesuch. Beschwerden über geschlossene Filialen oder zweifelhafte Zustellqualität haben hier nichts zu suchen. „Wir freuen uns über ihr Lob oder wir versuchen durch ihre Kritik noch besser zu werden“. Haha.

Dabei hat man noch Glück – ist ja nicht der Zoll, nur die Post. Weils so schön ist hier noch eine Zoll-Anekdote: empfangen werde ich von „Respekt“-Plakaten, die zu einem höflichen Umgang auffordern – höflich von den „Bittstellern“ wohlgemerkt. Erstmal heißt es warten. Irgendwann komme ich dran, darf meine mir von der Post übersandten Zollpapiere vorlegen, diese werden geprüft von zwei Personen, worauf die zweite dann bemerkt: „Sie müssen zur Poststelle“ (die Post hat eine eigene Abteilung beim Zoll). Gut, irgendwie hätte es schneller bis zu dieser Auskunft gehen können, aber ich habe es ja mit einer deutschen Behörde zu tun. Bisher waren zwei Personen mit meinem „Fall“ betraut, jetzt kommt eine dritte ins Spiel. Ich lande erstmal an einer verschlossenen Tür: „Nur einmal klingeln, wir hören das“. Mache ich natürlich artig, habe ja die „Respekt“-Aufforderungen gelesen. Irgendwann kommt eine Frau herangeschlurft, die sich letztlich immerhin als recht freundlich entpuppt. Erstmal allerdings werde ich gefragt: „Haben Sie einen Termin?“. Nein, habe ich nicht. „Sie haben Glück, es ist gerade nicht sooo viel los“ (hier scharwenzeln drei Mitarbeiterinnen herum, die gesamte Zeit bin ich der einzige „Kunde“, oder wie immer man das hier nennt). „Haben Sie die Rechnung dabei?“. Nein, habe ich nicht, das Paket wird also geöffnet, jedes Buch mit den Rechnungspositionen verglichen etc. „Einen Moment bitte“. Ich warte eine ganze Weile neben leeren Stühlestapeln (kann mir nicht vorstellen, dass diese jemals auch nur annähernd gebraucht werden, aber man ist halt für einen Jahrhundert-Ansturm vorbereitet). Irgendwann wurde meine Einfuhrumsatzsteuer-Zahllast mit offenbar aufwendigen Berechnungen (es dauert jedenfalls wieder einige Zeit) festgestellt, ich darf zur Zahlstelle. Eine inzwischen vierte Person prüft sorgfältig meinen Bescheid, ich zahle die errechneten 4,12 Euro, eine fünfte Person wird involviert, die nun in einen Nebenraum gehen muss, um einen „Bezahlt“-Stempel auf den Bescheid zu drücken, womit ich wieder zur Poststelle kann, um meine 3 Bücher abzuholen. Angesichts dieser überschaubaren Zahlungsverpflichtung wird dieser von mir (unbeabsichtigt und ungewollt) verursachte Aufwand ein ordentliches Defizit in die Staatskasse gerissen haben. Aber es muss eben korrekt laufen. Es geht doch nichts über eine ordentliche Bürokratie!

Zurück zur Post. Ein Kunde schrieb mir, dass ihm gerade die dritte Büchersendung innerhalb von zwei Monaten entgangen wäre – nie angekommen, Verbleib ungeklärt. Eine Sendung, die ich trotz korrekter Anschrift – vom Besteller bestätigt – wieder zurückbekam, verschickte ich nochmal, sie kam wieder zurück… Nach dem dritten Versuch bekomme ich eine leere Verpackung zurück. Die Post wird aber nicht nur immer schlechter, sie schafft es auch, gleichzeitig immer teurer zu werden. Nun wurde die Büchersendung (zuletzt existierte sie noch als „Bücher- und Warensendung“) ganz abgeschafft, übrig blieb die Warensendung. 2019 gab es gegen eine Portoerhöhung noch einen Teilerfolg durch die Intervention der damaligen Bundeskulturbeauftragten Grütters (CDU). In einem mir vorliegenden Schreiben heißt es: „Frau Staatsministerin teilt Ihre Einschätzung, dass insbesondere kleine Buchhandlungen darauf angewiesen sind, Bücher günstig verschicken zu können. In einem ohnehin angespannten Markt kann sich jede Preisumstellung zulasten insbesondere der kleinen Wettbewerber auswirken. Nun mögen Preiserhöhungen zwar grundsätzlich einer generellen Marktanpassung geschuldet sein. Jedoch erscheint insbesondere die geplante Reduzierung der zulässigen Maximalhöhe für Büchersendungen bedenklich. Jedes etwas dickere Buch müsste als Päckchen versandt werden. Das widerspricht dem Ziel, mit günstigen Versandkosten für Bücher die literarische Vielfalt und den Zugang zum Kulturgut Buch zu fördern“.  Nun liegt das Ministerium bei den Grünen. Doch die kriegstüchtige Partei hat offenbar wichtigeres zu tun als sich um solche Lappalien zu kümmern…

Parallel dazu entfällt die Gewichtsgrenze bis 500 Gramm (kostete bisher 2.25 Euro), es gibt nur noch eine Grenze bis 1000 Gramm (2,55 Euro – für Sendungen bis 500 Gramm bedeutet dies eine satte Preissteigerung von über 13%). Da in meinem Fall die meisten einzeln verschickten Bücher unter 500 Gramm wiegen, ergibt sich unterm Strich eine deutliche Kostensteigerung. Zumal ja auch das Verpackungsmaterial (wofür die Post nun weniger kann) deutlich teurer wurde. Dafür zahle ich allein im Jahr inzwischen gut 1.000 Euro, obwohl ich aus ökologischen Gründen so viel Recycling wie möglich betreibe. Das ist bei vielen Buchkäufer*innen allerdings noch nicht angekommen. So erhalte ich öfter erboste Mails, wonach ein Buch nur xx Euro Versand gekostet habe, ich aber xx Euro berechnete (wobei die Versandkosten ja im Voraus schon angegeben sind). Bei Buchhändler*innen scheint man, im Gegensatz zu allen möglichen anderen Berufsgruppen, irgendwie nicht davon auszugehen, dass diese von ihrer Arbeit auch leben müssen.

So wird das Bücherverschicken zum Luxus. Trotzdem hier einige Büchertipps – ich freue mich natürlich über reichlich Bestellungen!

Eine Wiederentdeckung: die Gedichte aus dem Gefängnis des Frühsozialisten Wilhelm Weitling

Ein interessanter Überblick zur im deutschsprachigen Raum wenig bekannten spezifischen ungarischen Geschichte der Rätebewegung

Diese Erinnerungen eines revolutionären Matrosen sind ein „Treibgut der Revolutionsgeschichte“, wie es im Vorwort heißt.

Isaak Steinbergs „Gewalt und Terror in der Revolution“ ist eine Wiederentdeckung. Zum Buch siehe auch diese Rezension.

In dieser Autobiographie beschreibt John Olday (1905-1977) die wirkliche Geschichte der ersten Hälfte seines ereignisreichen Lebens.

2024 wurde ein Stolperstein für Milly & Rudolf Rocker in Berlin verlegt, Rockers spannende Jugend-Autobiographie gibt’s hier.

Ebenfalls 2024 wurden in Lübeck Stolpersteine für Charlotte Landau-Mühsam und ihre Familie verlegt. Sie war Frauenrechtlerin und Bürgerschaftsabgeordnete in Lübeck, bevor sie 1933 nach Haifa emigrierte, sowie die Schwester von Erich Mühsam. Leider gibt es bis heute keine Biographie über ihr Leben, im Ziegelbrenner-Shop dafür aber zumindest jede Menge Literatur zu Erich Mühsam.

In diesem erweiterten und aktualisierten Reprint aus der Berliner Hausbesetzungsbewegung wird der subversiv-aufklärerische Charakter von Spaßguerilla vermittelt.

Blaschkes „Spielfeld der Herrenmenschen“ geht Kolonialismus und Rassismus im Fußball auf den Grund, er erklärt neokoloniales Denken in Talentförderung, Sponsoring, Medien.

Orwells „1984“ ist keine Dystopie mehr (Repression, Abschottung, Wettrüsten und Neusprech lassen das Buch eher wie den Wiederschein der Gegenwart erscheinen). Hier gibt’s Orwells Werke in einer günstigen Ausgabe.

Einschüchterung und Rachsucht bestimmen den „normalen“ Knastalltag, von Facetten des Rechtswesens wie der „Sicherungsverwahrung“ ganz zu schweigen, wie Thomas Meyer-Falk aus eigener Anschauung berichtet.

Norbert „Knofo“ Kröcher gibt einen sehr lesbaren, interessanten Einblick in die Politisierung in den 1960er Jahren, die Subkulturen, die „Bewegung 2. Juni“ und ihr Verhältnis zu anderen militanten Gruppierungen.

Nichtstun macht sowieso glücklicher, warum sollten wir also die Arbeit nicht niederreißen, statt noch mehr von ihr zu fordern? Bob Blacks Manifest gibt es hier.

Wer wählt, hat die eigene Stimme bereits abgegeben“ – das zeigt sich auch angesichts der gegenwärtigen Rechten, die ohne den Parlamentarismus und die „demokratischen“ Parteien nicht diesen Erfolg bekommen hätte: durch Wählen lassen sich Rechte nicht verhindern.

Die Rosa-Hellblau-Falle“ ist ein Aufruf zum Widerstand, der ganz konkrete Tipps bietet, wie sich die Genderfalle im Alltag umschiffen lässt.

„Wenn Nick Cave den als Zombie auferstandenen Elvis verkörpert, dann darf Lydia Lunch für sich in Anspruch nehmen, bereits zu Lebzeiten die Zombie-Version von Madonna zu sein““, so Martin Büsser zu Lydia Lunch.

Radikale Technologiekritik aus der Perspektive des aufständischen (insurrektionalistischen) Anarchismus bietet „Die Smartifizierung der Macht

In Bremen hat der SPD-Innensenator gerade versucht, das Kirchenasyl zu brechen. Ein neuerliches Beispiel dafür, wie die „bürgerlichen“ Parteien die AfD mit allen Mittel zu stärken versuchen, um den Preis des eigenen Untergangs. „Wie man den Faschismus fördert“ ist eine scharfe Polemik gegen eine solche Politik!

Kein schönes, aber doch ein wichtiges Buch über die Entwicklung der Drohnen in der modernen Kriegsführung.

Sterben und sterben lassen“ betrachtet den Ukrainekrieg als Klassenkonflikt und entgeht mit dieser klaren analytischen Grundhaltung dem Dilemma des nationalen Positionierens.

Die Zeitschrift „Streifzüge“ rezensierte in ihrer Ausgabe Nr. 90 https://www.streifzuege.org/inhaltsverzeichnisse/streifzuege-90-2024/ mein Buch „Nur Lumpen werden überleben“, das in einer Zeit, da der Verteidigungsminister der mit Abstand beliebteste deutsche Politiker ist (!) ein ebenso nötiges wie vehementes antimilitaristisches Plädoyer ist.

„Ich wünschte mir, dass dieser Text in Schulen gelesen und in Familien diskutiert wird“, so Carolin Emcke über den Bericht der Auschwitz-Überlebenden Ginette Kolinka.

Eine schöne Hommage an Bernd Kramer und die Geschichte des Karin Kramer Verlages.

Dieses Buch über Fußball und Nationalstolz thematisiert, „dass sportbezogener Nationalstolz mit einer ethnisch-kulturell fundierten Vorstellung des Nationalen stärker korrespondiert als mit der Idee der zivilen Staatsnation“.

Adorno, heute so aktuell wie damals.

Vor 50 Jahren erschien erstmals „Der Planet der Habenichtse“ von Ursula K. Le Guin, nun neuübersetzt vorgelegt unter dem Titel „Freie Geister“.

Ein rarer Katalog zu Leben und Werk der jüdischen Malerin Charlotte Salomon aus Berlin 1917-1943.

Das reicht noch nicht? Die Bücher sind zu teuer? Schaut in die Sonderangebote – über 300 preisreduzierte Bücher!

Und sonst?

Die Anarchistische Bibliothek Wien hat wieder einen Kalender herausgebracht, 12 Monatsblätter mit anarchistischen Frauen. Kostet 33 Euro zuzüglich Versand. Infos bzw. bestellen bei info@a-bibliothek.org!

Die Erich-Mühsam-Gesellschaft zieht 2025 mit anderen Literaturgesellschaften in Lübeck in ein Literaturhaus. Auch um dies finanziell abzusichern sind noch Mitgliedschaften erwünscht (man ist dabei in guter Gesellschaft, nämlich u.a. der des Ziegelbrenners!).

Contraste, die „Zeitung für Selbstorganisation“, widmet sich in ihrer Dezember-Ausgabe Genossenschaften in der Buchbranche. Um das Zeitungsprojekt etwas zu unterstützen hat der Ziegelbrenner eine Anzeige in der Zeitung geschaltet.

Selber schuld: weil sich zu wenig Versicherte bisher freiwillig für eine elektronische Patientenakte (ePA) entschieden gibt’s die nun für alle automatisch. Der Digitalzwang schreitet voran. Von meiner Krankenkasse bekam ich ein Schreiben, dass ich den QR-Code nutzen kann (Digitalzwang!), um aktiv – anders geht es nicht – dieser automatischen Zuteilung zu widersprechen. Ursprünglich war es anders herum gedacht: man sollte aktiv zustimmen, wenn man sie haben wollte. Wie gesagt: selbst schuld – wenigstens in der Logik des Digitalkrankheitsministers Lauterbach.

Im letzten Einwurf berichtete ich über Streichungen in kulturellen Medienangeboten sowie drastischen Kürzungen im Kulturbereich generell. Auch in Berlin sind massive Kürzungen geplant. Es hat sich eben noch nicht herumgesprochen: wer in Kultur und Bildung spart wird die Rechten stärken und obendrein in der Zukunft ein Mehrfaches des Eingesparten ausgeben für den staatlichen Repressionsapparat (Polizei, Justiz).



In diesem Sinne: lebt & lest!

Der Ziegelbrenner

www.ziegelbrenner.com

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