Zweiundsechzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der Medien-Einwurf – 100 Jahre Büchergilde und mehr

Neulich war ich wieder mal in einer Bahnhofsbuchhandlung. Es gibt Zeitschriftenrubriken zu Lifestyle, Garten, Wohnen, Sport, Autos, Handarbeiten, es gibt Rätsel-Hefte, Musikzeitschriften, Fotografie- und Audio-Magazine. Wissen ist vertreten mit GEO, National Geographic, den Sonderheften von „Zeit“ und dem „Philosophie-Magazin“ etc. Schon erstaunlich, was es da alles gibt an Special Interest-Magazinen. „Sauen“ etwa, „Das Magazin für Schwarzwildjäger“. „Faszination Drückjagd“, „Keilerträume“, „Sauendämmerung“ oder „Was Sauen wollen“ (bestimmt nicht erschossen werden…) lauten etwa einige Heftschwerpunkte. Es fehlt: Politik. Lediglich die Tagespresse ist noch vertreten, ergänzt um ein paar wenige Wochen- und Monatsblätter, und da liegt denn die „Graswurzelrevolution“ (siehe dazu weiter unten) neben der „Jungen Freiheit“. Wenn Glitzerhefte, Architekturthemen, Schminktipps und Autotuning wichtiger sind als politische Themen – zumindest einen augenscheinlich ganz anderen Stellenwert, eine Sichtbarkeit bekommen – dann sagt das einiges über die Zeit aus, in der wir leben. Wundern muss man sich dann vermutlich nur noch über wenig. Schlechte Zeiten für öffentliche Diskurse, zumal solche, die vom Immergleichen abweichen – und damit auch für Medien, die „anders“ sind.

Bevor ich zum Thema komme möchte ich noch auf ein Buch aufmerksam machen, das vor dem Nationalsozialismus in einem großen Verlag erschien (Rowohlt), seither aber bezeichnenderweise nur in Kleinverlagen (Karin Kramer Verlag und Anares): Isaak Steinberg „Gewalt und Terror in der Revolution“ ist ein Standardwerk zur differenzierten, kritischen Betrachtung der russischen Revolution, der Bolschewiki und der Gewaltfrage. „Isaak Steinberg Hauptwerk ist auch in nichtrevolutionären Zeiten wichtig“, so das Umweltmagazin „Der Rabe Ralfin der Ausgabe August/ September 2024. Steinberg wird hier als „Gewissen der Revolution“ bezeichnet: „Wer den heute zu Unrecht vergessenen Steinberg kennenlernen will, sollte direkt zum Hauptwerk des Autors greifen“… Besonders lesenswert ist das Kapitel, in dem Steinberg die Russische Revolution mit der Französischen Revolution vergleicht. Auch letztere scheiterte bekanntlich daran, dass zwar dem König, aber nicht der Macht der Kopf abgeschlagen wurde. Man muss Gerald Grüneklee, Kopf des wunderbaren ´Der Ziegelbrenner´-Versandantiquariats und Autor streitbarer Bücher, dafür danken, dass er dieses eminent wichtige Werk in seinem kleinen Verlag neu herausgegeben hat“. Zu ergänzen bleibt: wer ebenfalls dieses immer noch zu wenig beachtete Buch rezensieren möchte, möge sich mit mir in Verbindung setzen.

Die ukrainische Offensive in Kursk hat vor allem eine Auswirkung: in der grenznahen Region wirkt es für die russische Bevölkerung nun besonders überzeugend, dass „der Westen“ Russland militärisch besiegen will. Die Folge (oh Wunder…): antiukrainische und antiwestliche Stimmungen nehmen zu, Putin wird damit gestärkt, nicht geschwächt. Wie stellt man sich angesichts dieser Effekte der Waffengewalt eigentlich ein Ende des Krieges und vor allem das weitere Zusammenleben der Menschen in der Region vor? Einmal mehr zeigt sich: Waffen bringen nicht einen Frieden näher, sondern nur immer noch mehr mörderische Gewalt. Weshalb ich auch einmal mehr auf mein Buch „Nur Lumpen werden überleben“ hinweise.

Rechtsextreme Wahlerfolge – tja, was soll ich sagen? Zutreffend verwiesen die Redebeiträge einer Demo in Bremen Anfang September darauf, dass die AfD ohne entsprechenden Nährboden nicht hätte gedeihen können – ich wiederhole mich hier: es reicht nicht aus, eine AfD zu bekämpfen, wenn man die Politik der Parteien, die zu diesem Wahlerfolg erst beitrugen, außer Acht lässt. Und ich verweise nochmals auf meine Anfang des Jahres erschienene Broschüre „Wie man den Faschismus fördert„.

Nun aber zum angekündigten Medienthema. Vorab: wovon reden wir hier? Einst sprach man bei Medien, die quer zum Mainstream lagen, von Alternativmedien (Beispiele im Ziegelbrenner-Shop). Es ist eine Tragödie und Ironie linker Geschichte, das man zuließ – oder sich gar selbst aktiv daran beteiligte -, dass sowohl das „Querdenken“ (eins in linken Kreisen positiv besetzt) wie auch der Begriff „alternative Medien“ zu Synonymen verschwurbelter bis brandgefährlicher rechtsextremer Aktivitäten wurden, geradezu orwellianisch also ihres einst progressiven Gehaltes entkleidet wurden. Teilweise wird – oder wurde – von „Gegenöffentlichkeit“ gesprochen. Das ist schon begrifflich schwierig: gibt es tatsächlich eine Dagegen-Öffentlichkeit, oder gibt es nicht einfach nur eine Öffentlichkeit, in dem es um inhaltliche Debatten und Diskurse, physische oder inhaltliche Orte für Freiräume und Labore anderer Lebens- und Wirtschaftsformen, um die Aufmerksamkeitsökonomie, bisweilen auch um Bestrebungen der Hegemonie geht? Verwässert wird auch dieser Begriff, wenn betont wird, dass Alternativmedien nun vorrangig „unter dem Aspekt rechter Gegenöffentlichkeiten“ wahrgenommen würden. Der Begriff der Gegenöffentlichkeit abgeleitet vom Konzept der Gegenkultur (siehe die Literatur im Ziegelbrenner-Shop); welches vorwiegend widerständige Jugendkulturen bezeichnet (es ist fraglich, ob man rechte Jugendgruppen ebenfalls darunter fassen sollte) – die Punks etwa -, damit also eine deutliche inhaltliche Beschränkung vornimmt, ähnlich der „Subkultur“ (auch hier darf der Hinweis auf Ziegelbrenner-Literatur nicht fehlen). Ich spreche daher hier von emanzipatorischer Öffentlichkeit bzw. emanzipatorischen Medien, wohlwissend, dass auch dies nur ein Behelf ist, dem man herzlich gerne widersprechen mag.

Diese emanzipatorische Medienpraxis umfasst nach meinem Verständnis sowohl jene, die die Medien produzieren (Zeitungen, Bücher, freie Radios, unterschiedliche Formen der „neuen Medien“ etc.), wie auch jene die sie verbreiten (Buch- Und Infoläden, Buchgemeinschaften, Büchertische) und schließlich jene, die diese Medien nutzen (Multiplikator*innen, die informell oder z.B. über Veranstaltungen in Kulturzentren oder anderen Institutionen oft zur Verbreitung der Medien und ihrer Inhalte beitragen). Die Medien – ihre Herstellung und Verbreitung, die Debatte ihrer Inhalte – können ein Werkzeug zu Reflexion, zu Inspiration und zu Veränderung sein. Bücher „machen“ keine Revolte. Aber sie können dazu anstiften, über den Tellerrand des scheinbar Alternativlosen zu gucken: indem die Dinge zur Sprache gebracht werden, können sie infrage gestellt und weitergedacht/ andersgedacht werden. Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sondern auch nötig – dies immer wieder zu erinnern und beispielhaft aufzuzeigen, dazu sind die emanzipatorischen Medien weiterhin unerlässlich.

Bewegungsgeschichte, das ist immer auch Mediengeschichte: die politische oder soziale Bewegung, die keine Medien in ihrem Umfeld entwickelte, muss erst noch erfunden werden. Unzählige Printmedien der Studenten-, Alternativ-, Öko-, Friedens- und Anti-Atom-Bewegung belegen, dass viele Bewegungen nicht zuletzt Medienbewegung erzeugten, wenn nicht gar letztlich vor allem Medien-Bewegungen waren. Während der Umkehrschluss, dass ohne Bewegung keine Medien existieren, so nicht richtig ist. So manches Medium hat die Bewegung, aus der es entstand, überlebt. Ein Beispiel dafür sind die aus links-alternativen und linken Kontexten entstandenen Stadtzeitungen (manchmal schrieben sie sich „Stattzeitung“) der 1970er und 1980er Jahre, die, nachdem der Entstehungsrahmen dahinschwand, den Weg der Kommerzialisierung gingen und teilweise bis heute existieren. Auf ihrer Interpräsenz verschweigen diese Magazine heute teilweise verschämt ihre Geschichte, so z.B. die aus den neuen sozialen Bewegungen entstandene, 1978 gegründete Bonner „Schnüss“, während die 1976 gegründete „Kölner Stadtrevue“ weiterhin betont, ein selbstbestimmtes Kollektiv zu sein.

Nicht nur Bewegungen änderten sich, sondern auch die Formen von medialer Öffentlichkeit bzw. emanzipatorischem Medienaktivismus. Die im Zuge der 68er-Bewegung gegründeten linken Buchläden (bis zum Jahr 1977 entstanden über 200 von ihnen, die sich im „Verband linker Buchläden“ organisierten) sind bis auf wenige Ausnahmen in Universitätsstädten wie Göttingen, Marburg, Freiburg, Münster und Hamburg verschwunden. Linke Büchertische, die in den 1970er und 1980er Jahren noch an den Unis allgegenwärtig waren, sind heute fast nicht mehr zu finden. Sprossen in den 1990er Jahren vor allem aus dem Umfeld der autonomen Bewegung etliche Infoläden hervor, so ist davon heute kaum noch etwas zu sehen. Andererseits gibt es seit den 1990er Jahren weltweit eine zunehmende Anzahl von linken und anarchistischen Buchmessen. Orte, über die man im Vorbeigehen stolpert (wie die Büchertische) oder die auch als soziale Treffpunkte und Teil politischer Netzwerke existierten (wie die linken Buchläden) können diese temporären Veranstaltungen jedoch nicht ersetzen.

Und nein, auch die „sozialen“ Medien, die angesichts ihrer Funktions- und Wirkungsweise eigentlich als anti- oder a-soziale Medien zu charakterisieren wären, sind kein Ersatz für feste Räume und konkrete Möglichkeiten des persönlichen Zusammentreffens und Austausches. Der Corona-Lockdown sollte eigentlich hinreichend deutlich gemacht haben, was fehlt, wenn es keine face-to-face-Begegnungen mehr gibt. Ich kann hier nicht näher auf die neuen (digitalen) Medien eingehen – wer will schon so lange Texte lesen? Mit dem Internet wiederholten sich naive Hoffnungen, die schon der Medientheoretiker Marshall McLuhan hatte, als er sich Hoffnungen auf ein Zusammenrücken der Welt, auf das „globale Dorf“ machte, obwohl er sich der Ambivalenz der Medien deutlich war, als er in den 1970er Jahren (in Bezug auf das Fernsehen, das Internet war bekanntlich noch nicht existent) in einer Talkshow sagte: „das Fernsehmedium geht direkt ins menschliche Nervensystem, es geht direkt in den Bauch. Es ist ein innerer Trip, und der Fernsehzuschauer ist high. Fernsehen macht süchtig wie Ihre Talkshow“. Nicht nur den Suchtfaktor, sondern auch die Bedeutung der Medien für die subjektive Wirklichkeitskonstruktion (nicht erst heute könnte man ergänzen: und die Bedeutung für Meinungsmanipulationen und Fake News) erkannte McLuhan früh – weshalb die blinden Flecken seiner Medienanalyse doch verwundern. Im Zeitalter der hypererregten Medien jedenfalls scheint das globale Dorf entfernter denn je, geopfert den Schranken eines aggressiven „wir zuerst“-Nationalismus, in dem die letzten Hemmungen fallen.

Zurück zu den analogen Medien. Die Gründe für den Niedergang emanzipatorischer Medien sind vielfältig. Das gesellschaftlich-mediale Klima erwähnte ich schon. Nicht nur entschwanden viele soziale Bewegungen ins Nirwana, sondern es löste sich auch ein einst selbstverständliches, verbreitetes politisches Kaufbewusstsein auf (was hieß: ich unterstütze mit meinen Käufen jene Projekte, denen ich nahestehe – aus diesem Gedanken entstand etwa in den 1970er Jahren auch das „Netzwerk Selbsthilfe“, das nach einer kurzen Blüte dann nach einigen Jahren immer bedeutungsloser wurde). Auch der „ethisch korrekte“ Konsum, der heute teils – in naiver Verkennung der gesellschaftlichen Verhältnisse bzw. maßloser Selbstbeweihräucherung und Selbstüberschätzung – als Weltverbesserungsbeitrag gepriesen wird, ist kein Ersatz dieses politischen Bewusstseins, sondern eher Beleg des Schwindens des Selbigen. Teils übernahm man sich schlicht auch selbst. Die Ansprüche waren hoch. So wollte der Kommedia-Medienbuchladen nicht nur Buchladen sein, sondern – wie es der Name ausdrückt – zugleich auch auf den Rundfunk Einfluss ausüben und eine eigene Medienarbeit verankern, musste aber schon bald Überlastung konstantieren, wie selbstkritisch in dem Alternativprojekte-Reader „Es geht auch anders“ eingeräumt wird. Alternative Selbstausbeutung wurde zu einem geflügelten Wort. Manches Kollektiv zerbrach auch an inneren Querelen. Schließlich trugen auch ökonomische Probleme dazu bei, dass die linken Medien (Printmedien wie auch Distributionsorte, etwa die linken Läden und Buchvertriebe) nicht nur keine Gewinne mehr machten – die, so war es einst gedacht, dann wieder politischen Projekten zufließen sollten -, sondern dauerprekär selbst auf der Kippe standen und stehen. Das „verdankt“ sich auch einem besonders prekären Umfeld: die Kreise, die bislang am ehesten in linken Strukturen engagiert waren, sind vielerorts überproportional vom Sozialabbau, unsicherer werdenden Arbeitsverhältnissen und nicht zuletzt den Veränderungen im Bildungswesen betroffen („Bologna“ lässt grüßen – und in welcher Uni schafft es noch ein Mensch mit linker Biographie in eine unbefristete Anstellung, gar zu einer Professur?).

Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es schon mal beachtlich, dass die Büchergilde Gutenberg 2024 nun ihr 100jähriges Bestehen feiern kann. Im Leipziger Druckkunst-Museum findet aus diesem Anlass bis November noch eine interessante Ausstellung statt. Eine Auswahl von Büchergilde-Büchern ist selbstverständlich auch im Shop des Ziegelbrenners zu finden. Mitgründer der Büchergilde war der Sozialdemokrat Ernst Preczang, ein ehemaliger Buchdrucker, der als Wandergeselle auf Wanderschaft, „auf der Walz“ war. Die Nähe zur Arbeiterbewegung – und hier insbesondere eben den Buchdruckern – war in der Frühzeit der Büchergilde ein beinahe genetisches Verhältnis. Bis 1998 war die Büchergilde im Besitz der Gewerkschaften. Dabei war die Büchergilde keine dezidiert sozialdemokratische Buchgemeinschaft (die gab es mit dem „Bücherkreis“ 1924-1933 ebenfalls, beide Gemeinschaften hatten bei ihren Autoren jedoch kaum Überschneidungen), sondern sie ging weit darüber hinaus. Bereits zwei Jahre nach der Gründung erschien das erste Buch eines Autors, der quasi zum Flaggschiff – um nicht zu sagen für Jahrzehnte zum „Markenkern“ – der jungen Buchgemeinschaft werden sollte: B. Traven (1926 erschien „Der Wobbly“, bekannter wurde das Buch später unter dem Titel „Die Baumwollpflücker“). Travens sozial- und kapitalismuskritische Romane (neben dem Caoba-Zyklus mit Büchern wie „Die Rebellion der Gehenkten“ z.B. „Das Totenschiff“) wurden Bestseller, und sie gaben der Büchergilde ein Profil. Neben Traven (zu ihm siehe auch die Buchauswahl beim Ziegelbrenner) erschienen in der Büchergilde weitere sozialistische, inhaltlich wie stilistisch bedeutsame und profilierte Autoren wie Oskar Maria Graf, Martin Andersen Nexö, Jack London, John Dos Passos und Upton Sinclair). Das war emanzipatorische Medienpraxis, da viele wichtige Autoren (leider deutlich weniger Autorinnen) damit einem größeren Publikum bekannt wurden.

Das alles ist Geschichte, wie offenbar auch eine kämpferische und eben nicht nach rechts orientierte Schicht (oder Klasse) der Lohnabhängigen. Wobei die Bildung der arbeitenden Bevölkerung bis heute eine wichtige Aufgabe wäre, wie eben nicht zuletzt die rechten Tendenzen bis weit in das Gewerkschaftsmilieu hinein belegen. Die genannten Autoren werden zwar noch auf der Homepage der Büchergilde erwähnt, doch lediglich ein Buch von ihnen – von Jack London – ist aktuell (2024) dort lieferbar. Von B. Traven erschien seit einem Vierteljahrhundert nichts mehr in der Büchergilde. Geschichte sind auch die Büchergilde-Buchläden. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie nun keine eigenen Buchläden mehr, sondern das Büchergilde-Sortiment findet Unterschlupf in Partner-Buchhandlungen. Seit 2014 hat sich die Büchergilde organisatorisch neu aufgestellt, sie ist nun eine Verlagsgenossenschaft. Eines allerdings ist geblieben: noch immer wird bei der Buchergilde viel Wert auf die Gestaltung der Bücher gelegt (wie dies übrigens auch bei den anderen ehemaligen Buchgemeinschaften aus dem Umfeld der Arbeiterbewegung der Fall war), auf die Einbände, die Typographie und eine qualitativ hochwertige Verarbeitung. Auch stimmige, oft ganz wunderbare Illustrationen sind häufig in den Büchern enthalten. Regelmäßig regnet es Preise für die Büchergilde, für außerordentlich schöne und ansprechende Bücher. Die Büchergilde führt damit immer wieder aufs Neue die Bedeutung des Buches als gedrucktem Werk, als Gesamtkunstwerk, vor Augen: 100 Jahre schöne Bücher. Das ist in dieser Zeit schon einmal nicht das Geringste!

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass es auch eine vergleichsweise kurze Buchgemeinschaft aus dem anarchosyndikalistischen Milieu gab, die „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“, die, 1929 gegründet, 1933 mit dem an die Macht gelangten Nationalsozialismus ihr jähes Ende fand (die Büchergilde Gutenberg überwinterte diese dunklen, mörderischen Jahre in der Schweiz). Sie war Ausdruck der seinerzeit sehr breit aufgestellten libertär-sozialistischen Kulturaktivitäten. Eine anvisierte Wiederbelebung der Gilde durch die Anares-Föderation ließ sich in den 1990er Jahren letztlich nicht realisieren, schon damals waren die materiellen wie personellen Ressourcen dann doch zu begrenzt. Schließlich hatte auch die Kommunistische Partei ihre eigene Buchgemeinschaft, die 1926 gegründete „Universum Bücherei für alle“ – 1933 exilierte man zwar noch in die Schweiz, doch hier machten staatliche „Maßnahmen gegen kommunistische Umtriebe“ schließlich den Garaus.

Bereits vor rund 30 Jahren schrieb ich in einem Rundbrief der heute nicht mehr existenten Anares-Föderation: „Klar, Bücher ersetzen keine Taten. Als Grundlage für die Analyse der gegenwärtigen Zustände, als Anstoß für zu führende Diskussionen, als Botschaft eines anderen, gerechteren und würdigeren Lebens und als Hilfsmittel zur Vermittlung politischer und gesellschaftlicher Themenfelder sind sie jedoch auch im Video-Zeitalter für politisch interessierte und engagierte Menschen unverzichtbar. Bewusst versuchen wir dabei, gezielt vor allem kleinere Verlage im Rahmen unserer – bescheidenen – Möglichkeiten zu fördern. Schließlich kicken gerade diese vielfach wichtige Themen überhaupt erst an (die dann manchmal von den größeren Verlagen aufgegriffen werden – wenn ein breiteres Interesse, sprich ein entsprechender Umsatz erwartet werden kann). Verschwinden die kleinen Verlage – in ökonomisch schwieriger Situation befinden sie sich fast alle – droht auch der Verlust einer lebendigen Diskussionskultur“.

Dem ist wenig hinzuzufügen, außer: seither wurde die Situation für vom Mainstream abweichende Medien noch wesentlich schlechter. Viele kleinere, engagierte und ambitionierte Verlage, wie Edition Nautilus, Rotpunktverlag, Sujet und Unrast kämpfen um ihr Überleben oder zumindest um die Finanzierung ihres nächstes Halbjahresprogrammes. Der Ossietzky Verlag stellt das Buchprogramm ein und will sich künftig auf die gleichnamige Zeitschrift fokussieren. Was für die Verlage gilt, gilt auch für die Zeitschriften: neue Ideen entstehen zunächst jenseits der Massenmedien (Fernsehen, Radiosender, Zeitungen, Internet), die diese im Gegenteil zunächst so weit wie möglich zu ersticken versuchen, schon aufgrund ihrer Abhängigkeit von Werbeeinnahmen: ein klimakritischer Beitrag könnte z.B. zum Anzeigenboykott der entsprechenden Branchen führen. Auch diese Durchökonomisierung der Medienbranche hat sich in den letzten Jahrzehnten forciert. Hinzu kommt: Auflagenstärke gibt es durch Aufmerksamkeit, beispielsweise durch Interviews mit Politikerinnen und Politiker oder Promis aus der Kulturindustrie. Den guten persönlichen Draht, um an möglichst exklusive (= gut verkäufliche, bzw. durch massenhafte „Klicks“ ökonomisch verwertbare) Informationen und Interviews zu kommen, will man durch unbotmäßige Berichte und Sichtweisen nicht riskieren – und schon gar nicht den eigenen Arbeitsplatz: wer von der Redaktionslinie großer Medien abweicht, steht schnell auf der Abschlussliste, wie während der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges deutlich wurde. Diese beiden Themenfelder zeigen, wie weit der autoritäre, auch massenmedial vermittelte Konsens in der Gesellschaft bereits Raum ergriffen hat (vgl. das Kapitel „Die Produktion des Konsensin meinem Corona-Buch). Diese Mechanismen greifen bei kleineren, oft ehrenamtlich erstellten und verbreiteten Medien wesentlich weniger massiv: diese sind damit unabhängiger, und letztlich eben (ungewollt) die Trüffelschweine progressiver, diverser Debatten.

Was seit dem letzten Einwurf geschah:

  • Eine gute Ergänzung zum Thema Künstliche Intelligenz vom letzten Einwurf bietet der „Freitag“, der zeigt wie Algorithmen dazu beitragen, den globalen Geschmack (Musik, Kultur…) zu uniformieren
  • Der Hilferuf des von Insolvenz bedrohten „Hirnkost“-Verlages, der wichtige Bücher zur Geschichte der Untergrund- und Jugendkultur, aber auch zu Utopien herausgibt, konnte mit einem unerwartet guten Spenden- und Buchverkaufsergebnis abgewendet werden
  • Die „Graswurzelrevolution“ (ein Teil dieses Einwurfs erschien in veränderter Fassung zuerst in ihrer September-Ausgabe), gerade heute wichtig wie kaum je in ihrer Geschichte, braucht mehr Abos, um weiterhin ihre antimilitaristische Stimme erheben zu können
  • Der rührige Packpapier-Verlag ist akut von Räumung und damit in seiner Existenz bedroht durch einen – laut Hausmitteilung – Immobilienbetrug und sucht dringend einen in dieser Thematik erfahrenen anwaltlichen Beistand. Tipps bzw. Kontaktaufnahmen an packpapierverlag@web.de
  • Bedroht, und zwar durch das Finanzamt ist, aufgrund einer Steuerunterlagen-Unterschlagung durch meine ehemaligen Steuerhilfen, auch Der Ziegelbrenner. Bisher kontaktierte Anwaltsbüros waren überlastet oder beurteilten juristische Schritte als erfolglos. Durch den faktischen Diebstahl aber kann ich meine Steuererklärungen nicht machen und werde „geschätzt“. Wer Rat weiß: info@ziegelbrenner.com

„Du öffnest die Bücher, und die Bücher öffnen dich“ (Tschingis Aitmatow).

In diesem Sinne: Augen offenhalten und wachsam bleiben. Lebt & lest!

Der Ziegelbrenner

www.ziegelbrenner.com

info@ziegelbrenner.com

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