Birkner Martin (Hrsg.)

Emanzipatorische Wissenschaftskritik in Zeiten von Klimakrise & Pandemie

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Beschreibung

Wissenschaftskritik, kritisch sein, kritisch bleiben. Der Impuls dazu: eine unbefangene, ja kindliche – in späterer Verschulungszeit in der Regel weitgehend und folgenreich ausgetriebene – Neugier, ein immerwährendes Fragestellen („frag nicht so dumm“ – in der Formulierung lauert bereits die Gleichsetzung von Fragen = Nichtakzeptanz von Herrschaftswissen = Dummheit, wer viel fragt spinnt, heute also = Verschwörungswichtel), eben auch: ein Wissensdurst, ein Erkenntnisinteresse. Die Automatisierung der Alltagswelt, inklusive intelligenter Kühlschränke, ja Städte (smart cities), und die totale Überwachung sind Auswüchse einer Wissenschaft, die eine einzig in den Dienst von Staat und Kapital genommene Wissenschaft ist: Herrschafts-Wissenschaft, die im Verhältnis zu den Beleidigten und Unterdrückten der Erde nicht minder kolonial agiert wie zu Hoch-Zeiten des Kolonialismus. Nicht mehr utopisch (wohl aber dystopisch) erscheint der Transhumanismus (die Verschmelzung des Menschen mit der Maschine, vom Tagesschau-„Faktenfinder“ übrigens als bloße Glaubensrichtung in die Nähe von Verschwörungsdenken gerückt, wen wundert das noch?). Warum ist das Ende der Welt – samt Klima-GAU – denkbarer als eine Welt, in der Menschen in Freiheit und Selbstbestimmung leben können? Wo also bleibt die Wissenschaftskritik, die weit mehr ist als eine „kritische Wissenschaft“, die einzelne Wissenschaftsdisziplinen bloß kritisch begleitet? Denn Wissenschaftskritik unterzieht die Ideologien um Wissenschaft, die Wissensproduktion und ihre Folgen selbst einer Bestandsaufnahme, setzt also im Kern an: es geht ums Ganze. Wissenschaftskritik, emanzipatorische zumal, ist Institutionen- wie Ideologiekritik und nicht nur Begleitakkord zu einigen Auswüchsen von Wissensmacht und riskantem Forschungseifer. Der Blick in die Gegenwart erweist die Bedeutung einer solchen grundsätzlichen Kritik von Wissenschaft, die alles ist – nur nicht unwissenschaftlich. Denn sowohl ist das Fragestellen aus der Mode gekommen wie auch der umfassende bio-technologische Angriff auf die Menschheit nie zuvor gekannte, zerstörerische Ausmaße angenommen hat. In diesen Zeiten scheint eine Wissenschaftskritik, die den Namen verdient, heute nur noch in der matten Erinnerung der Altvorderen existent. Dabei würde sie mehr gebraucht denn je. Bereits der erste Artikel des Buches, von Franz Schandl, ist ein Extrakt bester kritischer Theorie. Er entzaubert den Glauben an die reinen Zahlen, das Blendwerk von „Faktenchecks“, die doch nur das Bestreben haben, kritische Positionen wahlweise lächerlich zu machen und so abzuspalten aus der Gemeinschaft oder in den hegemonialen Konsens wieder einzuhegen. Und Schandl tut dies nicht auf die oberflächliche Weise eher esoterischen „Wissens“, sondern mit Bezug auf Marx, Adorno & Co. Dieser Essay, in wenigen Sätzen heruntergebrochen, ist ein Aufruf zur Wiederaneignung substantieller Kritik, formuliert in Zeiten, da unterschiedslos jedwede Kritik als gefährliche „Abweichung“, womöglich als „rechtsoffenes“ Verschwörungsdenken diffamiert wird. Natürlich, ein solches Buch kann nur ein Anfang sein auf dem Weg der Reaktivierung von Wissenschaftskritik. Vieles fehlt, etwa ein Update der besonders in den 1980er Jahren für einige Zeit engagiert und fundiert vorgebrachten Kritik an den Gen- und Reproduktionstechnologien sowie der Bevölkerungspolitik – ich behaupte: seinerzeit wäre eine so einseitig auf das Impfen fokussierte, ausgrenzende und weite Bevölkerungsschichten verarmende Corona-Politik nicht möglich gewesen. Auch die Ökonomisierung von Sozialer Arbeit sowie Kranken- und Altenpflege verdiente einen Beitrag. Aufgrund der Zahlenfixierung und dem Druck, „Erfolge“ vorzeigen zu können, um sich zu legitimieren, wird die wissenschaftliche Qualifizierung vernachlässigt – von der fehlenden Orientierung an den Bedürfnissen der diesen Disziplinen ausgesetzten Menschen einmal ganz abgesehen. Der Fokus dieses Buches liegt auf marxistischen Theorien, weshalb anarchistische Positionen – wie von Paul Feyerabend – fehlen. Dennoch: dieses Buch ist in seinen Beiträgen ein illustrativer Kommentar zum kommunikativ-gesellschaftlichen Klimawandel (nicht nur auf dem Feld der Wissenschaft), und zugleich ein Wegweiser – oder wenigstens Impulsgeber – aus einem Wissenschaftsverständnis heraus, in dem Diskurse, die doch eigentlich die Essenz der Herausbildung von Wissenschaft bilden sollten, tabuisiert oder diffamiert werden.

Zusätzliche Information

Gewicht 600 g
Zustand

sehr guter Zustand, 328 S., Klappenbroschur

Reihe

kritik & utopie

Autor

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

ISBN/ISSN-Nummer

978-3-85476-914-9

Verlag