Wagner Thomas

Fahnenflucht in die Freiheit – Wie der Staat sich seine Feinde schuf: Skizzen zur Globalgeschichte der Demokratie

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Beschreibung

„Sobald der Staat die Bühne der Weltgeschichte betritt, geht er mit seiner Widersacherin schwanger: der Anarchie, der Idee einer von Herrschaft befreiten Gesellschaft“ (S.9). Mit diesen Worten beginnt Thomas Wagner seine historisch umfassende Reise zu den Gesellschaften ohne Staat. Anarchie, das wird dabei deutlich, ist bei Wagner sehr weit gefasster Begriff, der über die erst seit dem späten 18. Jahrhundert nachweisbare Idee des Anarchismus als politischer Organisation hinausweist. Gleich auf der ersten Seite zitiert Wagner Immanuel Kant, festhielt, Anarchie sei „Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“ (S.9), also, entgegen einem populären Missverständnis keineswegs gleichzusetzen mit Chaos, Willkür und Barbarei. Mit der Gegnerschaft zur aufstrebenden Staatsherrschaft – Wagner macht dessen Anfänge in den ersten, noch bescheidenen Stadtstaaten vor etwa 5.500 Jahren fest – begann zugleich der von Sehnsucht und Projektionen, Verachtung und herrschaftlichen Repressionen begleitete Blick auf jene, die sich dem staatlichen Zugriff entzogen. Die vor dem staatlichen Zugriff Flüchtenden, das waren die „Wilden“. Für die Flucht gab es viele Gründe, man floh, um sich Kriegsdiensten, Sklaverei, Zwangsabgaben und Steuern zu entziehen, man floh vor der heranziehenden Kolonialisierung der Welt, man floh vor den Grenzen, die die sich entwickelnde Macht nun bestimmten Ethnien, Religionen, sozialen Schichten und Geschlechtern aufdrückte. Viele dieser – im weitesten Sinn – anarchistischen Gemeinschaften basierten auf einem Gleichheitsbewusstsein, das sich in einer fairen Verteilung der vorhandenen bzw. erwirtschafteten Güter ausdrückte. Diesem Denken lag also die Fähigkeit, „Interessenkonflikte auf der Grundlage von etwas anderem als Gewalt und Dominanz zu lösen“ zugrunde (S. 40), beginnend 150.000 Jahre v.u.Z., und somit weit vor Beginn der Staatlichkeit. Der Boden, auf dem anarchistische Lebensweisen entstanden, ist also gleichermaßen von menschlicher Evolution und Emanzipation gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund mag man ermessen, welch gigantischen menschheitsgeschichtlichen Rückschritt vor allem die letzten Jahrhunderte bedeuten, in denen sich die Organisation der Welt in auf Gewalt basierenden Staaten durchzusetzen begann. Wagners Spurensuche ist so bedeutsam, weil sie die Erinnerung an grundlegende Dinge wachhält, die im Bewusstsein der gegenwärtigen Menschen zu verschwinden drohen: daran, dass staatliche Gewalt erstens kein Naturgesetz ist, zweitens Staatlichkeit auf Gewalt fußt und drittens die staatenlosen Gesellschaften viele Anregungen bereithalten, wie eine bessere, gewaltlosere und gerechtere Welt für alle Menschen möglich wäre. Mit Blick auf Wagners Beispiele zeigt sich die Absurdität der heutzutage weit verbreiteten Vorstellung, Staaten könnten für die Menschheit irgendeinen „Schutz“ bieten, vor den Auswüchsen des Kapitalismus etwa oder vor der Gewalt anderer Staaten. Thomas Wagner räumt mit einem weiteren Mythos auf, nämlich der Gleichsetzung von der Sesshaftwerdung der Menschen mit menschlichem Fortschritt. Wagner verweist beispielsweise auf die brasilianischen Yanonami, die ihre Sesshaftigkeit aufgaben und von Ort zu Ort zogen, um sich ihre Lebensweisen zu bewahren und sich dem kolonialistischen Zugriff zu entziehen. Noch in der Agrargeschichte weist er nach, wie sich „widerständige Früchte“ verbreiteten (S.61), die, anders als Getreide, von Kolonial- und Landesherren nicht so umstandslos ausgebeutet und abgepresst werden konnten wie beispielsweise Getreide. Alles in allem ein sehr spannendes, anregendes Buch! (Gerald Grüneklee)

Zusätzliche Information

Gewicht 600 g
Zustand

sehr guter Zustand, 272 S., Pappband, geb., m. OU

Autor

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2022

ISBN/ISSN-Nummer

978-3-7518-0376-2

Verlag