Einundvierzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der „Die Negativen retten die Welt“-Einwurf

Werte Lesende,

auf den 40. Einwurf kamen wieder einige LeserInnen-Reaktionen, die allermeisten mit positivem Tenor. So eine Reaktion aus Spanien: “Seit einigen Jahren lese ich nun schon mit Genuss deine Einwürfe… Speziell die letzten beiden Einwürfe, im Kontext der Pandemiepolitik haben mir aus der Seele gesprochen. Bitte mehr dieser Einwürfe!!! Und ich hoffe, dass sie eine hohe Verbreitung haben!!!“. Das Pandemiethema bleibt aktuell, daher auch diesmal einiges dazu im Folgenden.

Ein sehr ablehnendes Feedback kam aus der Hand eines von mir bisher geschätzten Literaturwissenschaftlers zum Thema „Gendern“. Dieses sei ein „Frontalangriff auf die deutsche Sprache, wie wir ihn seit 1933 nicht gehabt haben“. Sprache war jedoch schon vor 1933 ein Herrschaftsinstrument, denken wir etwa an Amtsdeutsch und die Durchsetzung des Hochdeutschen zu Ungunsten regionaler Dialekte etc. Ab 1933 wurde „von oben“ eine ausschließende Herrenmenschensprache etabliert, die Nazis betrieben ganz bewusst eine aktive Sprachpolitik. Dagegen geht es nun darum, eben nicht auszugrenzen, sondern alle Menschen „mitzunehmen“, im Übrigen ein Vorhaben, das dieses Mal gerade nicht von den Regierenden ausgeht (einige Ministerien und Behörden wollen das Gendern z.B. verbieten). Gegenüber 1933 ist das ein (doppelter: inhaltlich und diskursiv) Unterschied ums Ganze. Es geht hier auch nicht, wie oft phantasiert wird, um eine „Sprachpolizei“ oder dergleichen, sondern darum, dass Sprache eben auch Bewusstsein prägt und das Gendern insofern ein Beitrag zur Sensibilisierung für diesen Umstand ist.

Daher ist auch der bisweilen in Stellung gebrachte Verweis auf George Orwell irreführend, ja, ein regelrechter Missbrauch des Orwell´schen Werkes. Die, die da nun für eine inklusive Sprache eintreten, verkörpern gerade nicht ein totalitäres politisches System, also das, was Orwell, der im revolutionären Spanien seine Erfahrungen mit Franquismus wie Stalinismus machte („Mein Katalonien“), mit seinen Fabeln und Romanen wie „Farm der Tiere“ und „1984“ kritisierte. Gleichwohl – das Thema scheint zu polarisieren wie kaum ein anderes. Laut einer Infratest-Umfrage lehnen zwei Drittel der Befragten das Gendern ab, Tendenz gegenüber dem Vorjahr steigend.  Der Ex-„Spiegel“-Herausgeber und derzeitige „Welt“-Herausgeber Stefan Aust etwa behauptet geschichtsvergessen (siehe oben), dass sich Sprache ohne staatliche Eingriffe entwickelt und wendet sich gegen das linksliberale Milieu (womit der politische Kern der Debatte immerhin dankenswert deutlich wird), das eine „moralische Überhöhung der Sprache“ anstreben würde. Naja, Schwatzonkel Aust hat sich ja schon durch seine RAF-Geschichtsschreibung desavouiert (vgl. www.ziegelbrenner.com/produkt/verlogen-dumm-und-unverschaemt-kulturindustrie-von-1977-bis-heute/).

Nicht erst seit den „Freien Linken“ – die sich trotz ihres Namens und trotz ihrer Absage gegen Diffamierungen aufgrund von Differenz im Gründungsaufruf im Übrigen in starker „Querdenken“-Nähe bewegen – gibt es eine linke Kritik an der Pandemiepolitik. Siehe den von mir verfassten Band „Corona und die Demokratie – Eine linke Kritik“ (www.ziegelbrenner.com/produkt/corona-und-die-demokratie-eine-linke-kritik/), in dem im Gegensatz zu den „Freien Linken“ auch eine deutlich antikapitalistische Perspektive eingenommen wird. Da dieses Buch seit über einem Jahr von den Medien totgeschwiegen wird (sie wissen darum, schließlich wurden hunderte Adressen aus dem Medienbereich von uns über das Erscheinen des Buches informiert, einzige rühmliche Ausnahmen sind der „Freitag“ und die „Graswurzelrevolution“), kursiert es eher durch Mundpropaganda, und dies mit durchaus erfreulichem Zuspruch.

Jüngst erreichte mich diese Zuschrift eines Sportstudio-Betreibers, der als solcher auch existentiell von der Corona-Politik betroffen ist, zu unserem Buch „Ich muss sagen, ich bin wirklich sehr begeistert. Sie sprechen mir aus der linken Seele. Der erste Abschnitt gefällt mir am Besten und der ist ja von Ihnen geschrieben, daher wollte ich Ihnen das mitteilen. Besonders gut finde ich die Kritiken an großen Teilen der Linken bezüglich der Akzeptanz gegenüber den repressiven Corona Maßnahmen. Es macht mich seit letztem Jahr fassungslos, wie sogenannte Linke sich konsequent hinter den Staat und seine Repressionsorgane stellen… Dieses Buch muss definitiv eine breitere Leserschaft erreichen. Ich empfehle dieses Buch wirklich jeder und jedem, auch wenn diese Leute gar kein Interesse daran haben. Es ist unglaublich wichtig was dort geschrieben steht. Machen Sie auf jeden Fall weiter so!“

Auch über ein Jahr nach Erscheinen unseres Buches weigern sich die Regierenden, das Coronavirus als ein Virus zu betrachten, mit dem es ein „normales“ Leben geben kann – und, über kurz oder lang, wohl auch wird. Schon lange haben die Corona-Daten – und ihre Kommentierung – keinerlei Bezug mehr zu Realität. So wird in Deutschland die Angst geschürt vor einer angeblich besonders gefährlichen Delta-Mutante – diese grassiert vor allem auch in Großbritannien, bloß: warm hat dieses Land denn gegenwärtig eine deutliche Untersterblichkeit? (www.freitag.de/autoren/gunnar-jeschke/voellig-losgeloest). Die deutsche Pandemiepolitik – und ebenso in den meisten anderen Staaten – hat zu einer beispiellosen Wende hin zu extrem autoritärer politischer Kultur geführt. Eine Notwendigkeit dafür gab es nie. So gab es in Deutschland, anderen Behauptungen zum Trotz, zu keiner Zeit eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“. Drakonische Maßnahmen wie diverse Lockdowns entbehrten jeder Grundlage, und sie schädigten das Immunsystem der Menschen mehr als es das Coronavirus je schaffen konnte.

Konsequenterweise wurde zumindest in Spanien, wo es offenbar noch unabhängige Verfassungsrichter gibt, der erste Lockdown als verfassungswidrig eingestuft (es wird spannend, was mit den 1,1 Millionen in dieser Zeit verhängten Bußgeldern in Spanien geschehen wird). Gleichzeitig sterben global Millionen an Menschen in Folge der Anti-Corona-Maßnahmen den Hungertod, nicht zuletzt aufgrund globaler kapitalistischer Abhängigkeitsverhältnisse. Die Coronamassnahmen „haben weltweit grob gesagt 50 Mal – bei früheren Quellen bis zu 150 Mal – mehr Lebensjahre gekostet als das Virus hätte fordern können, wenn man auf die Herdenimmunität ohne jeden Schutz gesetzt hätte“ (www.dieostschweiz.ch/artikel/das-grosse-globale-sterben-durch-die-massnahmen-4YznJ3J). Nicht gerettet hat man im Übrigen bei alledem mit diesen Maßnahmen jene, um die es doch angeblich ging, nämlich die Alten.

So zeigt sich im Schatten des Virus, dass der Kampf um eine globale Umverteilung und für ein gutes Leben für alle Menschen nötiger denn je ist. Wobei sich fragt, wer diese Auseinandersetzungen führen soll, wo doch zumindest in Deutschland gerade die Linken – und zwar praktisch das gesamte Spektrum, abgesehen von wenigen Ausnahmen – panikgetrieben und blind vor den Folgen eine Hardcore-Politik mit Masken und Lockdowns fordern (www.heise.de/tp/features/Social-Media-Kampagne-erzwingt-weitere-Maskenpflicht-6055000.html?seite=all). Die gesundheitspolitische totale Fixierung auf das Coronavirus öffnet unterdessen anderen Viren, die derzeit kaum beachtet werden, die Türen (www.spektrum.de/news/vogelgrippe-das-naechste-pandemievirus-ist-vielleicht-schon-da/1875904).

Die zentralen Annahmen und Thesen unseres Buches haben sich damit sämtlich bestätigt. Und, ja, ich mache weiter. Mein geplantes neues Buch zum Thema ist zwar noch nicht erschienen, nachdem ein Verlag mich monatelang hinhielt (vielleicht am Ende heiße Füße bekam?). Doch erscheinen hier und da zumindest im Netz einzelne Kapitel des unveröffentlichten Manuskriptes, zuletzt hier: www.untergrund-blättle.ch/gesellschaft/panorama/bio-politik-die-regulierung-des-koerpers-6485.html.

Es entbehrt nicht einer Ironie, dass meine Texte derzeit primär online erscheinen. Weiterhin sehe ich mich primär den Printmedien verbunden, wovon auch die „Einwürfe“ immer wieder zeugen. Umso mehr, da die Welt der Bücher eine weiterhin bedrohte Welt ist. Gab es 2008 in der BRD noch fast 4.900 unabhängige Buchhandlungen (die Filialen der großen Ketten wie Thalia nicht mitgezählt)., so waren es gerade einmal 10 Jahre später, 2018, nur noch knapp 3.400. Und zu befürchten ist, dass das, was jetzt, auch im Zuge der „Corona-Krise“ (eigentlich eine Coronamassnahmen-Krise) womöglich beschleunigt verschwinden wird, auch nicht wieder zurückkommt. Bücher drohen nicht nur aus der Einzelhandelslandschaft zu verschwinden, sondern auch aus dem Alltagsleben. So kam der IKEA-Katalog 2019 ganz ohne Bücher aus, selbst Bücherregale waren mit allem möglichem befüllt, nur eben nicht mit Büchern (nach massiven Medienreaktionen waren im 2020er Katalog dann wieder Bücher zu sehen). Auch aus Architektur- und Einrichtungszeitschriften verschwinden die Bücherregale, neben dem riesigen Flachbildschirm und der Liegewiese hat es keinen Platz mehr, bzw. wirkte der Raum dann halt zu „beladen“. Andernorts verkommen Bücher zur bloßen Dekoration: der Buchladen Bookbarn in der Nähe von Bristol (GB) beliefert Menschen meterweise mit Büchern – mensch kann dabei angeben, wie man wirken möchte, nicht zu jedem passt schließlich die Goethe-Gesamtausgabe. Neben Privatpersonen werden auch Cafés und Hotels beliefert. Dieser Hintergrundschmuck soll beruhigende Wirkung haben. Beruhigend! Wenn Bücher nur noch Beiwerk sind, dass der Beruhigung diesen soll, ja, dann ist es wahrlich schlecht bestellt um die Buchwelt.

Die buchherstellende Seite, das Verlagswesen, mutet seit Jahren schon eher wie eine gigantische Buchvernichtungsmaschine an. Welcher Verlag pflegt noch seine Backlist? Immer schneller werden Bücher makuliert, muss Platz geschaffen werden für Novitäten, in den Lagerräumen der Verlage und Auslieferungen wie in den Buchläden, aufgrund von Marktmechanismen – die Aufmerksamkeitsökonomie wird auf die Neuerscheinungen fokussiert – wie auch angesichts der Immobilien- und Mietpreisentwicklung, bei der jeder Quadratmeter monatlich immer stärker die Kasse belastet. Stellt ein Verlag seine Tätigkeit ein, so wird heute oft gar nicht mehr versucht, die vorhandenen Bestände noch zu retten – ich weiss von mehreren Beispielen, wo die kompletten Lagerbestände dann schlicht vernichtet wurden, ohne sie vorher noch einmal den Geschäftskunden (Läden) anzubieten. Will man umgekehrt selbst Bücher loswerden, so schlägt einem die Geringschätzung der Bücher überall entgegen. Frauenarchive schlugen ebenso wie Literaturhäuser und Bibliotheken meine Angebote aus, ihnen thematisch passende Bücher zu spenden – die Bibliothek sei gerade eingelagert oder es seien keine Kapazitäten für die Bearbeitung von Buchgeschenken vorhanden, hieß es.Nein, Bücher gehören nicht unter Artenschutz gestellt („oh, schau mal, ein Buch!“). Bücher gehören in den Alltag, befördert durch eine lebendige, vielfältige Buchkultur, befördert durch lesehungrige und entdeckungsfreudige Leserinnen und Leser, durch Verlage, die weiterhin Kleinode entdecken und sie so liebevoll einkleiden – sprich gestalten -, wie es ihnen gebührt. Eine Buchkultur, die verkörpert wird durch unabhängige Buchläden als Ankerplätze der Buchleidenschaft (vgl. www.ziegelbrenner.com/produkt/buchhandlungen-eine-liebeserklaerung/). Eine Buchkultur, die begleitet wird von Lesungen, Debatten, Diskussionen, Literaturfestivals. Eine Buchkultur, die manifestiert wird durch Literaturorte, die Orte der Kommunikation und Geselligkeit sind (weg mit dem Klischee der isoliert Lesenden, das vom mitleidigen Blick auf diese armen, irgendwie einsamen und gestrigen Menschen begleitet wird). Ok, der Tenor dieses Einwurfes ist eher negativ. Aber negativ ist ja heute ohnehin das neue positiv. Im Zeitalter der Corona-Panik sind es schließlich die Positiven, die die Welt zu gefährden scheinen (ich verspreche trotz allem für demnächst mal einen positiven Einwurf…). Wie auch immer, bei allem Negativsein ist festzuhalten: es gibt sie noch, die Buchkultur, in der es sich so schön auf Schatzsuche gehen lässt. Es gibt sie noch, diese wunderschön aufgemachten Bücher, diese inspirierenden Läden (und wenn es denn gestattet ist, womöglich sogar wieder eine öffentliche, gemeinschaftlich erlebbare Buchkultur). Sorgen wir dafür, dass es so bleibt.

Ich danke auch für die Buchladentipps, die mich seit dem letzten Einwurf wieder erreichten.

Da ist in Kiel der Buchladen „Zapata“ (Wilhelmplatz 6), „ein toller Laden“, der aus der Gründungszeit linker Buchläden kommt (vgl. www.ziegelbrenner.com/produkt/gemeinsames-aufbrechen-kollektive-buchlaeden-in-der-brd/) und nun schon seit bald 50 Jahren besteht. „Da kann man Stunden verbringen“. Neben einem breiten Standbein in Gesellschaftskritik gibt es eine Kinder- und Jugendbuchabteilung und eine große Krimi-Auswahl, zudem werden Bücher fürs Studium besorgt und Büchertische bei Veranstaltungen durchgeführt.

Da ist in Leipzig die Buchhandlung „el libro“ (Bornaische Str, 3d) im Szene-Viertel Connewitz. Auch hier stehen gesellschaftskritische Themen im Vordergrund, so gibt es auch ausgewählte Zeitschriften, daneben internationale Belletristik und feministische Literatur, wobei die sorgfältige Auswahl von umfassender Kenntnis dieser Bereiche zeugt. Auch weil ich selbst den damaligen Initiator noch aus der Zeit kenne, als der Laden noch in Planung war, gebe ich diese Empfehlung sehr gerne weiter.

Da ist in Frankfurt die Buchhandlung „Weltenleser“ (Oeder Weg 40), die trotz ihrer Adresse alles ist, nur nicht öde. Das liegt schon an der außergewöhnlichen Sortierung der Bücher: diese sind – gleich ob Romane, Fotobände, Biographien, politische Sachbücher, Kochbücher o.ä. – dort nach Kontinenten, Regionen und Ländern sortiert. Selten ist die durch Bücher mögliche Entdeckungsreise räumlich so konsequent umgesetzt worden. Dabei betrachtet man den Laden als wichtigen Ort der Begegnung und des Gespräches: „Kommunikation statt Internet!“

Und was ist eure Lieblingsbuchhandlung?

Bis zum nächsten Mal grüßt
Der Ziegelbrenner