Dreiunddreißigster Einwurf des Ziegelbrenners

Buch? Handel? Zukunft? – Anmerkungen zur Buchkultur, Teil X

Liebe Freundinnen und Freunde des gedruckten Buches,

lange ist es her seit dem letzten Einwurf, von den Ende November verschickten Terminhinweisen abgesehen. Daher ist dieser Einwurf wieder sehr umfangreich. Es gibt eine übervolle Wundertüte mit Infos und Anmerkungen, die gerne auch in anderen – sozialen wie analogen – Medien weiterverbreitet werden dürfen. Für das nächste Jahr verspreche ich lieber gar nicht erst eine regelmäßigere Versendung der Einwürfe – die dafür dann weniger umfangreich sein könnten.

Was fehlt in diesem Einwurf?  Auch dieses Mal schaffe ich es aus Platzgründen wieder nicht, eure – und meine – Lieblingsbuchhandlungen vorzustellen. Hinweise sind natürlich weiterhin willkommen, vielleicht wird das sogar mal ein separater Einwurf. Und das Großthema Klimawandel fehlt auch fast zur Gänze. Dazu hoffentlich demnächst mehr.

Ganz zu Beginn möchte ich auf die Postlaufzeiten gerade in der Vorweihnachtszeit hinweisen. Es empfiehlt sich, noch heute zu bestellen. Mein letzter Versandtag vor Weihnachten ist der 20.12., doch selbst bei Paketen kann dann nicht mehr das Eintreffen bis zum 24.12. gewährleistet werden. Weiterhin unklar ist, wie es ab dem 1.1.2020 mit dem Versand von – bisher ermäßigten – Büchersendungen weitergeht. Dieser Tarif sollte bereits dieses Jahr abgeschafft werden, nach Protesten machte die Post einen Rückzieher. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels fordert, den Schutz des Kulturgutes Buch auch beim Versand von Büchern gesetzlich zu verankern.

Mein Buchtipp für die diesjährigen Jahresend-Feiern ist der – zudem erfreulich günstige – Bildband „Zintstoff 2“ von Günter Zint: fotografische Erinnerungen für jene, die dabei waren, wie auch vermittelte Zeitgeschichte für jene, die durch die bunten Bilder und Filmchen der Generation Youtube sozialisiert wurden. Denn ein Bild von G. Zint sagt oft mehr als 1000 Worte. Das Buch kann gerne auch bei mir mitbestellt werden – wie gesagt: am besten noch heute. Eine formlose Mail mit Anschrift genügt. Zusätzliches Bonbon: Der Versand innerhalb Deutschlands ist frei! Infos: www.imhof-verlag.de/zintstoff-2-65-jahre-deutsche-geschichte.html.

Direkt zu erwerben ist der Zintstoff-Band auch bei meinem Bücher-Lagerverkauf, der vom 12.-14.12. in Bremen stattfindet. Siehe www.ziegelbrenner.com/. Weitersagen und mit FreundInnen vorbeikommen – ich freue mich über zahlreichen Besuch!

Aus der Reihe „Schlagzeilen die mir gefallen“ – die ich hiermit begründe – habe ich für heute ausgewählt: „Wenn du was gegen den Klimawandel tun willst, geh weniger arbeiten“. Empfohlen wird in einem kürzlich erschienenen Papier für eine ressourcenschonende, nachhaltige Gesellschaft die 9-Stunden-Woche. Ja, „Arbeit ist die Ursache nahezu allen Elends auf der Welt“. Dies schrieb Bob Black schon vor über 20 Jahren. Sein Traktat gibt es im Ziegelbrenner-Shop (www.ziegelbrenner.com/produkt/die-abschaffung-der-arbeit/).

Auch 2019 wurden wieder Buchhandlungen, mit denen ich teils über viele Jahre zusammenarbeitete bzw. bei denen ich über die Jahre hinweg immer mal wieder Kunde war, mit dem „Deutschen Buchhandlungspreis“ ausgezeichnet. So die Buchläden Jos Fritz (Freiburg), Die Buchkönigin (Berlin), Zabriskie (Berlin), Storm (Bremen), Annabee (Hannover), Eulenspiegel (Bielefeld), Der andere Buchladen (Köln). Ein undotiertes Gütesiegel bekam u.a. der Buchladen Neuer Weg (Würzburg). Ich gratuliere herzlich!!!

Ausgerechnet damit, dass Donald Trump nicht gerne liest, warb die Buchhandelskette Thalia. Als ob es keine besseren Argumente gegen Trumps Politik gäbe. Zumal viele, alles andere als sympathische PolitikerInnen immer wieder in Interviews betonen, wie gerne sie – angeblich – lesen. Trump steht u.a. für eine Wiederkehr des Religiösen in der Politik, des politisch aufgeladenen, radikalen Christentums. Er arbeitet eng mit Evangelikalen zusammen, die z.B. in Brasilien maßgeblich mit für die Wahl des Präsidenten Bolsonaro sorgten. Auch die homophobe Politik, wie sie in Tansania unter dem katholischen Präsidenten Magufuli oder auch in Polen und Ungarn betrieben wird, zeigt den gewachsenen Einfluss christlich-religiöser Kreise. Ich möchte daher auf das religionskritische Sortiment des Alibri Verlags hinweisen: www.alibri-buecher.de/

„Der Religion ist nur das Heilige wahr, der Philosophie nur das Wahre heilig“, so Ludwig Feuerbach. Doch was ist noch wahr? Krisenzeiten sind immer auch Zeiten der (Wieder-)Entdeckung kritischer Theorie. So wurde im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007ff. vermehrt Karl Marx wohlwollend rezipiert, ebenso der Anarchismus. Die „Neue Zürcher Zeitung“ – ausgerechnet – plädierte nun im Zuge des sich verbreitenden Kulturrelativismus und Rechtspopulismus für die Unentbehrlichkeit der Geisteswissenschaften: „Sie lehren uns das, was wir mehr und mehr brauchen: kritisches Denken“. Brasiliens Präsident Bolsonaro hat indessen vor allem die Schleifung „nicht produktiver Studiengänge“ wie Philosophie und Soziologie zum Ziel. Ich verweise auf meine Philosophierubrik: www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/philosophie/.

Hat die Krise des Buchhandels ihren Höhepunkt überschritten? Die Frankfurter Buchmesse verbuchte dieses Jahr ein Rekordinteresse. „Wir sind vor allem lebendig“, formulierte der Kölner Buchhändler Klaus Bittner einmal als Vorteil gegenüber dem Online-Handel. Letztes Jahr wurde geunkt, nicht mehr wo welche Bücher gekauft würden sei entscheidend, sondern ob überhaupt noch Bücher gekauft würden. So gingen allein zwischen 2012 und 2016 Studien zufolge über 6 Millionen LeserInnen verloren. Die IKEA-Einrichtungshäuser haben Bücher seit 2018 weitestgehend aus den Regalen verbannt – eine ästhetische Entscheidung mit Symbolcharakter. Doch noch immer macht der Buchmarkt mehr Umsatz in Deutschland als Filmwirtschaft, Gaming-Branche und Musikindustrie zusammen.

Die Unkenrufe sind nicht neu: „Das Buch gehört augenblicklich zu den entbehrlichsten Gegenständen des täglichen Lebens. Man treibt Sport, man tanzt, man verbringt die Abende am Radio oder im Kino“ schrieb der Verleger Samuel Fischer im Jahr 1926. Ersetze „Sport“ durch „Fitness“ und „am Radio oder im Kino“ durch „am Bildschirm oder im Internet“, so ist der Satz aktuell wie einst. Mit Facebook, WhatsApp, Onlinespielen, Streaming & Co. hat sich die Ablenkungsindustrie allerdings ausdifferenziert.

Was haben die Streamingdienste, was der Buchmarkt nicht hat? Die Frage ist schon falsch gestellt. „Wir müssen die eigenen Stärken betonen und damit aufhören, die Apokalypse der Literatur zu beschwören. Schönheit, Poesie, Weltwissen und die großen Wahrheiten, Spannung und Liebe und Abenteuer… Wir haben alles. Es ist alles da. Es ist angerichtet! Es kommen nur nicht mehr so viele zu Tisch“ schrieb die Autorin Melanie Raabe. Bei Jugendlichen ist der Schwund am größten, sie gehen vielfach – zumindest vorübergehend – an das Smartphone verloren. Die 6- bis 13jährigen lesen dagegen weiterhin sehr gerne, und in den letzten Jahren gar mit leicht zunehmender Tendenz, Zeitschriften, Comics & Bücher. Dies tun sie am liebsten konzentriert, nicht nebenbei. Viele Buchläden kümmern sich mit Vorlesestunden und Bilderbuchkino um diese nachwachsende Buchgeneration. Und kürzlich wurden 208 Kindergärten, die sich vorbildlich für die frühkindliche Leseförderung engagieren, als „Buchkindergärten“ ausgezeichnet. So wird das Buch zumindest als Option in der Alltagskultur verankert, vielleicht klappts dann ja nach der Smartphone-Phase wieder mit dem Griff zu diesem Medium.

Eine vermehrt zu beobachtende Event-Inszenierung von Büchern scheint mir allerdings kontraproduktiv. So werden in der Branche ernsthaft Lesungen in Fitness-Clubs und Erlebnisbuchhandlungen mit Yoga-Stunden als vermeintlicher Ausweg aus der Krise gepriesen. Dabei ist es doch gerade das permanente Getriebensein auf der Suche nach noch mehr Flexibilität, Selbstvermarktung und Selbstoptimierung, das vermutlich einen Gutteil der Aufmerksamkeit – und der Zeit! – für das Buch entzieht. Eventlesungen reichen dem Publikum literarische Häppchen zu den dargebotenen Schnittchen. Literatur-Infotainment in leicht verdaulichen Dosen, dafür reicht die Zeit denn vielleicht gerade noch. Ist es da tatsächlich von Vorteil, wenn Menschen erzählt wird, sie würden mit Büchern „einfach geistig länger gesund bleiben und besser gerüstet durchs Leben gehen“, wie die Verlegerin Felicitas von Lovenberg einmal sagte?

Vielfach hat man den Eindruck, als habe der Kampf der unabhängigen Buchläden und Verlage um die Aufmerksamkeit für das Printmedium, die Angebotsvielfalt und den lokalen Einkauf gerade erst begonnen. Die Ernsthaftigkeit der Lage kommt offenbar erst zeitverzögert an. Denn die Lage speziell der Kleinverlage wird immer dramatischer. Die kleinen Verlage sind sozusagen die Trüffelschweine des Buchmarktes, sie vor allem sorgen für die enorme Vielfalt des Buchangebotes, sie machen Bücher abseits des Mainstreams und der Massentauglichkeit, schielen nicht nur auf Bestsellerlisten. Doch das Sortiment der „Kleinen“ steht immer weniger bei den Buchgroßhändlern im Katalog. In den Buchhandlungen heisst es vielfach – aber falsch -, die Bücher seien „nicht lieferbar“, da Einzel-/ Direktbestellungen bei den Verlagen unwirtschaftlich sind. Ein Eigentor, denn profitieren dürfte einmal mehr der Internetriese Amazon. In einer öffentlichen Erklärung von Kleinverlagen wird nun staatliche Förderung gefordert, um die „Bibliodiversität“ weiterhin zu gewährleisten. Man fragt sich allerdings, warum die Kleinverlage nicht längst stärker kooperieren, beispielsweise in Werbung und Vertrieb. Karl Lagerfeld sagte einmal über eine Buchhandlung: „Sie ist mein intellektuelles Delikatessengeschäft, und ohne sie würde ich verhungern“. Die Delikatessen drohen allerdings Einheitskost zu weichen.

Nein, Lesen muss auch nicht glücklich machen. Der inflationäre Verweis darauf, dass Lesen zum Glück führt, bezeichnete der Leiter des Literaturhauses Hamburg, Rainer Moritz, als „alarmierendstes Krisenindiz“. Etwa so, wie wenn eine sterbende Partei trotzig reklamiert: „SPD macht glücklich“. Wohl aber ließe sich Lesen als Akt der Verweigerung interpretieren, als Ungehorsam gegenüber den uns überall und stetig eingebläuten Selbstoptimierungs-Parolen. Noch einmal muss ich die Neue Zürcher Zeitung zitieren: „Lesen ist nicht schön. Es ist anstrengend und im besten Fall subversiv, es stachelt auf, fordert zum Widerstand gegen Bestehendes und Himmelschreiendes auf“ (NZZ, 24.5.2018). Das ist zwar pauschal, bei einem Sarrazin kann ich nichts Subversives erkennen. Und doch: Eben dieser subversive Charakter war für mich vor rund 30 Jahren bereits der Anstoß, meinen damaligen Buchvertrieb zu beginnen. Apropos, auf meiner ehemaligen Homepage anares-buecher.de werden nun Sportwetten angeboten…

Alles Gute für 2020! Auf Wiederlesen!

Bis zum nächsten Einwurf grüßt
Der Ziegelbrenner

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