Vierunddreißigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der „Tschüss Amazon“-Einwurf

Liebe Freundinnen und Freunde des gedruckten Buches,

lebt ihr schon, oder kauft ihr noch? Und wenn ihr kauft – wo? Zumindest kaufen immer weniger Menschen in Deutschland ihre Bücher noch hauptsächlich bei Amazon ein – alleine von 2017 auf 2018 sank der Anteil von 44 auf 34 Prozent. Das ist erfreulich, denn es ist nicht cool, sich im Buchladen beraten zu lassen, um dann bei Amazon zu kaufen (wie ich es selbst in meinem eigenen Laden schon erlebte). Wie das „Börsenblatt“ am 8.10.2019 meldete, sehen über 40% der Befragten in einer Umfrage die Macht von Amazon kritisch, und über 80% davon wollen in Zukunft bewusst weniger bei diesem Konzern kaufen. Und doch: Amazon machte allein in Deutschland 2018 einen Umsatz von 17 Milliarden Euro – die Zahl für 2019 liegt mir noch nicht vor. Global jedenfalls legte Amazon 2019 satte 20% zu.

Welchen Anteil Bücher am Umsatz haben ist mir nicht bekannt, doch in dieser Branche hat Amazon jedenfalls bisher am verheerendsten gewütet. Darin liegt auch eine Ironie der Geschichte: der deutsche Buchhandel ist so stolz, Bücher schneller als Amazon liefern zu können. Doch wurde diese wirklich vorbildliche Logistik eben nur für den Zwischenhandel genutzt. Die Buchbranche hat es versäumt, die EndverbraucherInnen – sprich LeserInnen – offensiv in die Lieferketten einzubeziehen und so selbst frühzeitig eine Alternative zu Amazon zu entwickeln.

Zwar prophezeit Amazon-Chef Bezos ein baldiges Ende des Konzerns, doch wird das ihn als reichsten Menschen der Welt erstens nicht jucken, zweitens wird er dann genug verbrannte Erde hinterlassen haben und drittens wird das, was dann kommt auch nicht besser sein. Denn Amazon nutzt nur clever die Möglichkeiten, die die kapitalistisch verfassten Staaten dem Konzern bieten. Ich will deshalb hier auch gar nicht etwa darüber lamentieren, dass Amazon keine Steuern bezahlt. Eine Amazon-Kritik allein greift zu kurz, letztlich müssen wir vom Kapitalismus reden. Auf Amazon fokussiere ich mich hier einerseits der Beispielhaftigkeit wegen, andererseits, weil bislang kein anderer einzelner Konzern es geschafft hat, derart verheerende Folgen für die Buchkultur zu entwickeln – und weil Amazon auch von den gesellschaftlichen Folgen seines Tuns her besonders exponiert ist. So arbeitet Amazon massiv mit Polizeien, Militärs und Geheimdiensten zusammen, etwa bei der Forschung zu „künstlicher Intelligenz“. Die daraus entstandenen Gesichtserkennungsprogramme etwa haben massive Auswirkungen für die Kontrolle von Migrationsbewegungen.

Doch zunächst einmal zurück zum Buchmarkt: 2021 soll Amazon in den USA alleine die Hälfte aller Onlineverkäufe abwickeln, so die Prognosen. Bücher sind da inzwischen nur noch ein, wenn auch nach wie vor gewichtiger, Teilbereich. Und Bücher interessieren den Amazon-Chef Bezos im Grund auch nicht sonderlich. Bezos ist nicht wie „gewöhnliche“ BuchhändlerInnen leidenschaftlich dem Buch verbunden, er brennt nicht für dieses einzigartige Medium mit seinem kulturellen Potential. Lediglich das ökonomische Potential reizt Bezos, seine Ausgangsfrage bei der Amazon-Gründung hieß: „Welches Produkt eignet sich am besten, um das Netz effizient als Vertriebskanal zu nutzen?“ (Die Welt, 24.4.2018).

Vor dem prognostizierten Ableben will Amazon allerdings noch sein stationäres Ladengeschäft stark ausbauen. Denn Amazon ist längst nicht mehr nur Online-Riese. So will Bezos allein in den USA bis 2021 bis zu 3.000 neue Amazon-Go-Läden eröffnen – das waren allerdings die Pläne, an denen Bezos seit 2012 feilt, bisher allerdings hinkt er seinem selbst gesetzten Plansoll hinterher. Amazon Go – es wäre lustig, wenn es nicht so ernst wäre. Läden sind auch für Deutschland geplant. Ein erstes, temporäres Ladengeschäft eröffnete der Konzern im November 2019 in Berlin, für sechs Tage. Sollte der Konzern allerdings in Mitteleuropa ähnlich reinklotzen wie für Nordamerika geplant, so dürfte das Ladensterben in den Innenstädten dadurch noch weiter forciert werden. Kapital genug hat der Konzern, allein die Steuerreform des bekennenden Nicht-Lesers Donald Trump hat – obgleich sich Bezos gern als Trump-Gegner gibt – dem Konzern seit Ende 2017 Milliarden in die Kassen gespült.

Was aber verkauft Amazon eigentlich in seinen Buchläden? Die Antwort ist trivial: es sind die Bücher, die die Kundschaft liebt. Nun ist schon die Fixierung der Literaturlandschaft auf Bestsellerlisten – auf reale oder vermeintliche Verkaufszahlen also – fatal, da das Medienecho und die Marketing-Konzentration auf wenige Bücher einen Großteil der Literaturproduktion umso stärker aus dem Fokus rückt. Neu entwickelte Software soll künftig sogar schon den potentiellen Bestseller erkennen, so dass nur noch produziert wird, was das Zeug zum Bestseller hat. Amazon aber geht einen etwas anderen, scheinbar „demokratischeren“ Weg: angeboten wird, was besonders viele Empfehlungen der LeserInnen bekommen hat. Abgesehen davon, dass sich solche Empfehlungen auch wieder kaufen lassen (möglicherweise von Amazon selbst, wenn der Konzern Bücher in den Vordergrund rücken will, bei denen die Konditionen besonders gut für Amazon sind): dieses Ranking bedeutet den Tod der anspruchsvollen Literatur, das Ende des unabhängigen Lesens. 

Denn ein guter Buchladen leistet, was auch das Museum tut: er kuratiert, setzt also Akzente, bietet Orientierung, trifft eine solide Vorauswahl, gibt persönliche Empfehlungen und berät kompetent und umfassend. Das hat nichts mit Zensur zu tun. Vielmehr hat die Buchmarkt-Forschung gezeigt, dass gerade anspruchsvollere, beratungsintensivere Bücher bzw. Buchsparten überwiegend im „klassischen“ Buchhandel gekauft werden, nicht bei den großen Buchhandelsketten und nicht im Internet. Da nämlich dominiert die Stapelware des Immergleichen, und damit die Zensur eines Marktes, der bei einem Wegfall der Buchvielfalt, der Bibliodiversität, dafür sorgt, dass viele Bücher gar nicht mehr erscheinen werden. Dieses Artensterben ist nicht mehr bloß eine mögliche Gefahr, es lässt sich längst in dramatischem Ausmaß beobachten, wie Jörg Sundermeier vom „Verbrecher Verlag“ betont (https://oxiblog.de/die-prekaere-oekonomie-der-davids-wie-kleine-verlage-um-die-buchkultur-kaempfen/).

Allerdings haben zu viele Verlage und auch Buchläden selbst zu lange auf fragwürdige Selbstinszenierungen gesetzt. Literatur als Spektakel in Szene zu setzen, das verhindert geradezu tiefergehende Diskurse über das bedrohte Kulturgut Buch, meint „Wunderhorn“-Verleger Manfred Metzner, der meint: „Im Grunde brauchen wir neue Graswurzelbewegungen“ (Börsenblatt, 25.10.2018). Es geht darum, das Buch aus dem Reservat zu holen, aus dem Insel-Dasein der Literatur-Events. Und es geht darum, wieder stärker die politische Relevanz des Buches, seiner Inhalte und der für die Produktion unabdingbaren unabhängigen Verlage und Buchläden in den Mittelpunkt zu rücken. Eine Kaufentscheidung gegen Amazon allein reicht da längst nicht mehr aus.

Ein absolut falsches Signal jedenfalls war es, dass sich die Stiftung Lesen 2019 entschied, ausgerechnet mit Amazon sowie den Buchhandelsketten Thalia und Hugendubel eine Märchenbuch-Verschenk-Aktion zum Weltkindertag am 20. September durchzuführen. Das „Börsenblatt“ sprach sarkastisch von „märchenhaftem Marketing“ und einer „unheiligen Allianz“. Wer das Buch bekommen wollte, musste sich allerdings erst einmal bei Amazon als Kund_in registrieren lassen. Dieses Abgreifen von Daten kritisierte auch die Kinderbuchautorin Kirsten Boie (https://www.ndr.de/kultur/buch/Streit-ueber-Amazons-Maerchenbuch-Aktion-zum-Weltkindertag,amazon382.html). In der Folge entschied sich etwa der Beltz Verlag, der im Stifterrat der Stiftung Lesen saß und die Stiftung bisher förderte, zum Ausstieg aus dieser Stiftung. Man wolle künftig vor Ort die Leseförderung in Kooperation mit engagierten Buchläden, Kindergärten und Schulen fördern, hieß es. In der Tat, eine solche „Stiftung Lesen“ braucht niemand.

Amazon ist schlimm für die Buchbranche. Schlimm ist der Konzern auch für die Ökologie – der Konzern baut eine eigene Flugflotte auf, um möglichst schnell liefern zu können. Ziel ist es, die weltweit zweitgrößte Flugfracht-Flotte aufzubauen, eigene Flughäfen inklusive. Und das Amazon-Verständnis von Nachhaltigkeit beschrieb der Rundfunksender B5 am 31.1. so: „Eines ist klar: Nachhaltig ist der Versand einzelner Kleinstprodukte aus weit entfernten Logistikzentren auf keinen Fall – doch das liegt auch nicht im Fokus von Jeff Bezos. Der Multimilliardär hat nämlich eine ganz andere Form der Nachhaltigkeit im Sinn: Er strebt an, noch mehr Kunden per Prime-Abo – nachhaltig – an sein Unternehmen zu binden.“.

Schlimm ist der Konzern vor allem aber auch für jene, die mangels anderer Optionen gezwungen sind, für diesen Konzern zu arbeiten. Die Löhne für die Plackerei sind noch immer erbärmlich. So bezog z.B. in 2017 teilweise jede/r dritte Amazon-Angestellte im US-Bundesstaat Arizona staatliche Essensmarken, um überleben zu können. Besonders schlimm trifft es diejenigen, die in den Amazon-Warenhäusern arbeiten, wozu in den USA z.B. auch die weltgrößte Bio-Supermarktkette Whole Foods zählt. Freilich gibt es auch bei Amazon Gutverdienende – sie werden die Gentrifizierung von Berlin-Friedrichshain vorantreiben, wenn der Konzern dort ab 2023 Berlins dann zweithöchsten Wolkenkratzer bezieht (https://radar.squat.net/de/event/berlin/stressfaktor/2019-11-23/anti-amazon-cafe-face2face). Die Überwachung des Konzerns über die Mitarbeitenden mit Smart-Watches ist legendär – wer während der Arbeitszeit pinkeln geht, dem droht Job-Verlust. 

Und Amazon hat mit Knebelverträgen bei den Paketdiensten in vielen Ländern dafür gesorgt, dass sich die Arbeitsbedingungen auch bei der Paketzustellung massiv verschlechterten. Das wird auch durch das neue, in Metropolen eingesetzte Amazon-eigene Zustellsystem „Amazon Flex“ – ebenso reißerisch wie falsch beworben mit „Sie sind der Chef. Verdienen Sie 25 Euro pro Stunde“ – nicht besser. Denn auch dort zeigt das Prinzip des immer-noch-schneller-sein-sollens ernsthafte Folgen: Amazon-Auslieferfahrkräfte sind in den USA auffallend oft an Autounfällen mit schweren Verletzungen und Todesfolgen beteiligt (https://www.boersenblatt.net / 2020-01-07-artikel-hoeher__schneller__weiter-amazon_baut_einen_flughafen_. 1788801.html)

Einmal mehr zeigt sich, dass niemand mit Amazon reich wird, außer Amazon – namentlich Jeff Bezos – selbst. Der Chef verdiente Ende 2017 rund 37.000 Dollar (ca. 33.300 Euro) – pro Minute. Bezos ist ungeachtet dieser Einkünfte dreist genug, der Stadt Seattle mit dem Wegzug der Firmenzentrale zu drohen – der Konzern sollte wie andere große Firmen zur Kasse gebeten werden, um die zunehmende Obdachlosigkeit zu bekämpfen. Eine Obdachlosigkeit wohlgemerkt, die nicht zuletzt auf Amazon selbst zurückgeht. Einen Monat nach der Ankündigung machte Seattle auf Druck von Amazon einen Rückzieher (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/amazon-seattle-obdachlosen-steuer-1.4013661). Wer darüber nachdenkt, sich Amazons „Sprachassistenten“ Alexa anzuschaffen, sollte sich überlegen, ob es wirklich so toll ist, diesen Konzern weitere Moneten und weitere Macht zu geben. Wenn Alexa „Waschmittel alle“ meldet und eine automatische Lieferung in Gang setzt verdient schließlich wieder einmal nur Amazon.

Im kleinen Frankfurter Westend-Verlag erschien das empfehlenswerte Buch „Schnauze, Alexa!“ von Johannes Bröckers, für günstige 7,50 Euro auch im Ziegelbrenner-Shop zu erstehen. Faktenreich kritisiert werden die Geschäftspraktiken, die Monopolstellung und die Datensammelwut des Konzerns. Wie schon beschrieben würde auch das Ende von Amazon nicht alle Probleme lösen. Aber das Ende eines Konzerns, der besonders viele Zumutungen in sich vereint, wäre schon einmal ein Anfang. „Bröckers fasst alle Argumente zusammen, die dagegensprechen, den amerikanischen Internetgiganten weiterhin zu unterstützen. Sein Traum ist es, dass alle deutschen Kunden kurzerhand sagen: Tschüss, Amazon.“ (hr-Info Netzwelt).

Der Ziegelbrenner