Siebenundvierzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der „Ohne Utopien bleibt die Welt ein Dreckhaufen“-Einwurf

Liebe Lesende,

in wenigen Monaten wird das Ziegelbrenner-Lager umziehen. Jedes Buch, das dann nicht mehr eingepackt und erneut ausgepackt und eingeräumt werden muss, ist dabei eine buchstäbliche Erleichterung.

Aus diesem Grund habe ich als erste Maßnahme zur Förderung des Abverkaufs etliche Bücher, die noch in mehreren Exemplaren vorhanden sind, preisreduziert. Zu den Sonderangeboten geht es hier. Das Sonderangebot gilt, solange Vorrat reicht, bis zum 1.3.!

Lest, solange das noch geht, möchte man sagen. Da ist zum einen der immer massiver werdende Papiermangel. „Unsere Gesellschaft funktioniert in vielen Bereichen über die Informationsvermittlung von gedruckten Medien, die rein digital nicht gewährleistet werden kann“, so der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Druck und Medien. Vorhandene Papierkapazitäten landen derzeit vorrangig in der Verpackungsmaterialindustrie. Nun streiken auch noch die finnischen Papierarbeiter*innen (Papier ist Finnlands wichtigstes Exportprodukt, Deutschland der wichtigste Abnehmer), wozu man ihnen nur gratulieren kann: sie kuschen eben, siehe unten, nicht vor einem Virus, unterwerfen sich nicht staatlichen Stillhalteappellen, sondern kämpfen für bessere Lebensbedingungen. Doch nicht nur Papier, sondern praktisch sämtliche für die Buchherstellung benötigten Produkte, beim Bindeleim angefangen, wurden in den letzten Monaten nicht nur deutlich teurer, sondern teilweise kaum noch erhältlich.

Hinzu kommt, dass das Buch global immer stärker unter Druck gerät, aus Gründen der Identitätspolitik. Linken sind Autor*innen wie Astrid Lindgren, Michael Ende oder Mark Twain plötzlich verdächtig, deren humanitäres, emanzipatorisches und antirassistisches Werk ganze Generationen prägte. Sprache prägt das Bewusstsein, und so ist ein Bemühen um eine diskriminierungsfreie Sprache grundsätzlich zu befürworten. Aber müssen deshalb jahrzehntealte Werke diskreditiert und umgeschrieben werden? Werden nicht die einstigen literarisch-gesellschaftlichen Emanzipationsbemühungen durch eine von heute aus bewertete Correctness geradezu erdrückt? Damit wird zugleich der Entstehungskontext entsorgt, die Geschichtlichkeit der Werke. Erläuternde Vor- oder Nachworte erschienen mir deshalb wesentlich angemessener.

In den USA tobt längst ein ausgeprägter Kulturkampf um die Literatur. „Wissen ist Macht“, das ist sprichwörtlich – und genau dieser selbstbemächtigende Aspekt von Lektüre ist politischen Strömungen suspekt. Die Zahl der Werke, deren Entfernung aus den Beständen der US-Bibliotheken verlangt wird, steigt in den letzten Jahren deutlich an. Teilweise wird von den Rechten wie Linken die Entfernung derselben Werke verlangt, nur aus unterschiedlichen Gründen (so bei John Steinbeck). Gerade dystopische Werke wie „Der Report der Magd“ von Margret Atwood, „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley oder „1984“ von George Orwell geraten unter besonders vehementen Beschuss. Das ist konsequent: während der Totalitarismus staatlichen Handelns in der Corona-Pandemie global zunimmt, wird versucht, Stimmen, die vor den Folgen warnen, mundtot zu machen. Man fühlt sich an ein anderes Werk dystopischer Literatur erinnert, an „Fahrenheit 451“ – das ist die Temperatur, bei der Papier brennt – von Ray Bradbury. Offenkundig sind wir heute auch kulturpolitisch dichter an einer Dystopie als an einer Utopie.

Und sonst? Weiterhin spielen sich die deutschen Linken unterschiedlichster Couleur, bis in anarchistische Gruppen (auch wenn es in diesem Spektrum ein paar marginalisierte, wohltuende Ausnahmen gibt), zu Staatsbütteln erster Güte auf. Sie sind offenkundig in erster Linie deutsch. Wer solche Linke hat, braucht eigentlich keine Polizei und keinen Verfassungsschutz mehr. Diese Linken erledigen das Staatsgeschäft (Regieren durch Spaltung und Vereinzelung bzw. – andere Seite der Medaille – die Produktion eines autoritären Konsens, die Abwehr von für die staatliche Ordnung potentiell gefährlichen Elementen) durch das Schüren von Ängsten und Panik (wie es, siehe hier, von Beginn an im Drehbuch stand), durch die Denunziation vermeintlicher und echter Rechter, durch autoritäre Drohgebärden: „Wir werden euch alle impfen“.

Wenngleich die linken Moralwächter*innen den Irrationalismus immer nur auf der anderen Seite verorten, so unterscheiden sie sich in ihrem Agieren prinzipiell nicht vom ausgemachten Feind (siehe hier). Lust- und lebensfeindlich wenden sich diese Menschen gegen alles, was im Leben noch Spaß machen könnte – Leben, das ist bei ihnen nur noch: existieren. Sie nennen das „solidarisch“. Was will mensch noch von Menschen erwarten, die solcherart die einfachsten Dinge verwechseln? Denn sie verkörpern damit das Bestreben nach einer Effizienz, das nur anzeigt, wie sehr die neoliberale Pille der permanenten Selbstoptimierung bei ihnen bereits wirkt. Schlimmer noch: die einstigen, wenn man so will, Kernelemente linken Bewusstseins – gesellschaftliche Emanzipation voranbringen, sich gegen soziale Spaltungen und eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich zur Wehr setzen, den Klassenkampf führen – sind dabei vollkommen entsorgt worden. Offenkundig sind die Linken gegen jeden Keim kritischer Selbstreflektion geimpft.

Den Abschied der Linken nutzen nicht nur in Deutschland einstweilen populistische und rechte Bewegungen aus (siehe hier). Einzig die schwedische Politik scheint einen gewissen Lichtblick zu bieten, zeigt sie doch, dass die hierzulande als „alternativlos“ ausgegebene Politik eben keineswegs so alternativlos ist (siehe hier).

Linkes Denken, das war einst geprägt von der Sehnsucht nach dem Nicht-Ort, Utopos, der Suche nach der noch nicht realisierten Utopie, davon zeugen Regalmeter frühsozialistischer und libertärer Literatur, bis hin zum „Kommunistischen Manifest“ von Marx, und weitergehend bis zum Motto der globalisierungskritischen Bewegungen: „Eine andere Welt ist möglich“. „Ohne Utopien bleibt die Welt ein Dreckhaufen“, so formulierte es programmatisch die Künstlergruppe „SPUR“ um 1960.Heute ist diese Sicht auf eine Gesellschaft jenseits von Staatlichkeit, autoritärer Herrschaft, Kapitalinteressen, soziale konstruierten Normierungen und Barrieren wie Geschlechtergrenzen weitestgehend erdrückt. Diese fatale Entwicklung zu vollenden, dazu reichten zwei Jahre (man sieht daran freilich, was zuvor nicht richtig durchdacht und inkonsequent war, sonst hätte es nicht so umstandslos geschehen können). Zwei Jahre, in denen die linken Bewegungen nicht einfach in einen komatösen Tiefschlaf fielen, sie sich nicht einfach jeder Kritikfähigkeit an repressiver Gesundheits- und Sozialpolitik entkleideten, nein schlimmer noch: sie zu aktiv Mitwirkenden am eigenen Niedergang wurden. Veränderung findet, siehe oben, auch über Sprache statt – vor allem aber über (auch die Kommunikationsformen einschließendes) Bewusstsein. Wo aber ansetzen, wenn dieses Bewusstsein nun unter Null tendiert und Selbstentmächtigung statt Selbstermächtigung betrieben wird; ein Unterschied um zwei Buchstaben nur – aber ein fundamentaler. Ich habe mich nie so ratlos gefühlt wie derzeit. Mit utopischem Denken aus dem Schlammassel – doch wie?

Enden will ich dennoch mit etwas Positivem: es gibt sie noch, die schönen Buchhandlungen. So in der Schweiz – genauer gesagt in diesem Fall: in Zürich -, einem Land nebenbei bemerkt, dessen Corona-Kurs nicht so massiv war, dessen Maßnahmen nicht so brutal durchexekutiert wurden, dessen Bevölkerung sich nicht so total ängstigen ließ, die nicht geduckt herumläuft, immer bereit, schnell die Straßenseite zu wechseln, wenn „das Virus“ kommt, und die zeigte, dass sie gerne lebt (wie ich mit eigenen Augen erleben konnte).

Vor der Pandemie schon suchte ich ein paar Buchläden in Zürich auf. So, wie in Städten der Besuch von Buchhandlungen immer ein selbstverständlicher Teil meiner Stadterkundungen ist. Von „Paranoia City“ berichtete bereits im letzten Einwurf, es gibt aber in Zürich noch mehr zu entdecken.Zum Beispiel die Buchhandlung „Mr. Pinocchio“ (woher auch immer der Mister bei dem rein weiblichen Team kommt), einer Kinderbuchhandlung mit überaus freundlichen, engagierten Mitarbeiterinnen. In der Oberdorfstraße 3 bekommt man etwas vom mediterran-italophilen Klima der Stadt mit, italienisch ist hier quasi die Zweitsprache. Ein wunderschöner Wohlfühlort. Neben Büchern gibt es auch ausgesuchte Spiele.

Zum Beispiel die Buchhandlung „sec52“ in der Josefstraße 52. Der Laden ist verwoben mit dem Bilder Verlag, der sorgsam bibliophil gestaltete Bücher nicht zuletzt zur künstlerischen und literarischen Avantgarde verlegt. So hat auch der Buchladen ein sorgfältig zusammengestelltes Sortiment. Die Sortierung zu entschlüsseln erfordert eine eigene Entdeckungsreise, aber das ist ja nicht das Schlechteste: weg vom ladnerischen Ein-Klick-Prinzip sozusagen. Auf der Homepage finden sich einige ausgewählte Buchtipps.

Zum Beispiel „Kosmos“ (Lagerstraße 104), weit mehr als ein Buchladen, ein wahrhafter Kosmos eben. Besser als die eigene Homepage kann man es nicht zusammenfassen: „Hier trifft Geistiges auf Kulinarisches, Kontemplation auf Konversation, hier wird der Wein gelesen und das Buch getrunken“. Kosmos „umfasst ein Veranstaltungsforum mit Bühne, ein grosses Bistro, sechs Kinosäle und Auditorien, eine Bar mit Klub und Blick auf die Geleise, eine Buchhandlung mit Shop und Café, eine sonnige, bediente Piazza sowie einen schattigen, begrünten Innenhof für die heissen Tage“.

Zum Beispiel die noch recht neue Sortimentsbuchhandlung „Kapitel 10“ (Limmattalstraße 197), die ein wenig Wohnzimmer-Flair ausstrahlt und deren Inhaber selbstbewusst genug ist, in Internet und e-book keine wirkliche Bedrohung zu sehen: „Wenn ich die Leute dabei beobachte, wie sie ein Buch in die Hand nehmen, über den Buchdeckel streichen und behutsam in den Seiten blättern, bestätigt das meine Ansicht, dass viele immer noch das haptische Gefühl eines richtigen Buches vorziehen“. Der direkte Kontakt zu Autor*innen wird durch ab & an stattfindende Lesungen ermöglicht.

Und, in welche Stadt zieht es Euch zu Buchladen-Exkursionen?

Es grüßt

Der Ziegelbrenner

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