Vierter Einwurf des Ziegelbrenners

„Gute Literatur ist eine herausragende Form der Propaganda durch die Tat“, so der französische Anarchosyndikalist Pierre Quillard 1892.

Doch was ist gute Literatur? Und wer liest sie, wer kauft sie? Und wo?

Und, im Zeitalter der E-Books: wie ist sie beschaffen?

Heute wird in Frankfurt die größte Buchmesse der Welt eröffnet, das ist nicht der schlechteste Anlass, um solche Fragen einmal zu stellen.

Gute Literatur, so stand es sinngemäß einmal in einem Anares-Newsletter, soll keine Beruhigungspille sein. Sie soll aufwecken, berühren, verstören, Denkgewohnheiten infrage stellen, Impulse geben.

So können wir mit dem guten Buch großes Kopfkino in Gang setzen, aus dem Alltag ausbrechen, Anregungen bekommen, gar damit beginnen, neue Wege zu gehen – individuell, aber auch kollektiv (gründet Lesegruppen, diskutiert!).

Freilich, das Buch hat es schwer im multimedialen Zeitalter. In Bezug auf Bücher scheint oft gar eine regelrechte Bibliophobie (krankhafte Angst vor Büchern!) zu herrschen. „Ich habe noch ein Buch dass ich noch nicht gelesen habe“ heißt es da etwa – kaufen denn diese Menschen auch nur die Lebensmittel, die sie unmittelbar zubereiten wollen und die Kleidung, die sie an den nächsten Tagen anziehen werden?

Die gut sortierte Bibliothek ist die Speisekammer für den Geist! Doch Tatsache ist: das Buch muß gegen viele Medien konkurrieren, hinsichtlich der Aufmerksamkeitsökonomie und der zur Verfügung stehenden Zeit.

Als Medium ist das gedruckte Buch genial, es kann schlicht nicht verbessert werden: es braucht keine technischen Hilfsmittel (allenfalls eine Brille), keine Stromquelle in der Nähe, es riecht gut (meistens), die Handhabung ist selbsterklärend, man kann in das Buch Eselsohren hinein machen, kann es verleihen oder auch liegen lassen und so durch weitere LeserInnen finden lassen. Und es animiert schon durch seine Form dadurch, ein Medium der Muße in einer hektischen Zeit zu sein, genossen mit einer Tasse Tee oder einem anderen guten Getränk. Lesen macht glücklich, es ist Lust und Begehren. Das Buch ist ein Medium, das geschaffen ist zum Innehalten. Es ruft förmlich: Halt! Stopp! Nimm´ Dir Zeit! Lesen & Denken statt Hetzen & Zappen. „Das Recht auf Glück muss Gesetz in allen zukünftigen Büchern werden“, meinte ironisch einmal Peter-Paul Zahl.

„Eine Gesellschaft ohne Bücher hat keine Zukunft“, warnt der Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Sicher, er schoss hier übers Ziel hinaus, der weitaus größte Teil der Menschheitsgeschichte fand schließlich ohne Bücher statt – aber ob eine Zukunft ohne Bücher wünschenswert wäre ist natürlich eine andere Frage. „Lesen ist wunderbar und gefährlich, und beides zusammen macht es unverzichtbar“ (Marianne Gronemeyer). Doch nicht nur das Medium gerät in Bedrängnis, auch die Branche in der es gehandelt wird steht unter Druck, und das gleich doppelt, aufgrund der technischen wie der ökonomischen Entwicklung.

Noch gibt es Bücher wie wir sie kennen, doch:  „In einem immer stärkeren Maße wir die internationale Buchbranche von einem Unternehmen als Geisel gehalten, das weit mehr Interesse am Verkauf von Flachbild-Fernsehern, Windeln und Lebensmitteln hat“, so Oren Teicher von der American Booksellers Association“. Weit mehr Interesse? Der Vergleich ist dem Interesse an der eigenen Branche geschuldet, Amazon dürfte es völlig egal sein was da gehandelt wird, Hauptsache die Gewinnspanne stimmt. Was letzteres angeht, weist dieses Zitat allerdings letztlich in die richtige Richtung, denn aufgrund des Drucks, den der Internetriese nicht zuletzt auf die Rabattierung ausübt, werden Verlage und damit letztlich auch AutorInnen tatsächlich in eine Art Geiselhaft genommen – im durchsichtigen Interesse des Konzerns, die AutorInnen letztlich direkt ins Haus Amazon zu bekommen und das Verlagsgeschäft zu dominieren. Der derzeit global größte Kunde der Verlage will selber Verlag werden – und zwar der einzige relevante Verlag weltweit. Die keineswegs nur theoretische Gefahr ist, dass hier eine ganze Branche zerschlagen wird. Und damit (und das ist das Drama in diesem Fall) eben auch deren beachtliches, kreatives Potential, die große literarische, inhaltlich-thematische Bandbreite. Dabei ist die Buchbranche für Amazon nicht einmal mehr wirklich wichtig: der gesamte Umsatz der Branche beträgt in der BRD gerade einmal zehn Milliarden Euro im Jahr (zum

Vergleich: die Autokonzerne VW und Mercedes machen je rund 100 Milliarden Euro Jahresumsatz).

Doch der patentierungswütige Konzern (er ließ z.B. unlängst ernsthaft Foto-Aufnahmen vor weißem Hintergrund patentieren, eine „Technik“ also, die jeder Fotograf seit über 100 Jahren kennt und anwendet) hat eine Vision: vom Manuskript bis zur Vermarktung der fertigen Bücher will Amazon monopolistisch den gesamten Produktionsbereich und Handel bestimmen – und keinen anderen Medienkonzern von Bedeutung mehr neben sich dulden (in einigen Staaten wie den USA, Großbritannien und der BRD soll Amazon schon mehr als 80% des Online-Buchhandels in seiner Hand haben). Auch die KäuferInnen gewinnen nichts: angesichts der Marktmacht von Amazon ist nicht zu erwarten, dass Literatur aufgrund der Bündelung der Verwertungskette in einer Hand langfristig günstiger wird. Die Amazon-Zukunft würde nicht billiger, sondern öder. Mehr denn je wird dann nur noch produziert und vertrieben, was sich „rechnet“. Auch wenn ich mich als Rufer in der Wüste wiederhole und gegen Windmühlen anrenne: Wer bei Amazon kauft, ist Totengräber kultureller Vielfalt.

Amazon braucht uns, doch wir brauchen nicht Amazon. Der Buchhandel um die Ecke – noch gibt es ihn! – kann  die meisten Bücher innerhalb von

24 Stunden beschaffen, dieses gekoppelt mit oft sehr sachkundiger, persönlicher Beratung (und nicht nur einer blödsinnigen „Käufer die dieses Buch gekauft haben, interessieren sich auch für diese Titel“-Funktion)(1). Und dabei erfährt außer der Buchhändlerin (oder dem Buchhändler) niemand, welches Buch wir lesen oder welches uns auch nur interessiert. Think global, buy local! (Was die Buchhändlerin nicht mehr hat, hat vielleicht „Der Ziegelbrenner“, und das nun satt preisreduziert, im Rahmen des Ausverkaufs).

Viele AnarchistInnen trauern um Bernd und Karin Kramer vom Karin Kramer Verlag, ihre Bücher wurden für viele Lebenswege prägend. Beide verstarben dieses Jahr innerhalb weniger Monate. Unklar ist noch, ob oder in welcher Form es künftig mit diesem Verlag – immerhin der traditionsreichste anarchistische Verlag im deutschsprachigen Raum – weitergehen wird. Ich werde zu gegebener Zeit darüber berichten.

Schließen möchte ich mit einem Zitat des Schriftstellers B. Traven, das als Motto auch hervorragend zum Lesen passt: „Es ist doch nicht des Habens wegen, dass man lebt, sondern des Wünschens, des Wagens, des Spielens wegen, dass man lebt“.

Es grüßt Der Ziegelbrenner (ehem. Anares)

(1) PS: wer empfehlenswerte Buchläden weiß und gar die persönliche „Lieblingsbuchhandlung“ hat, möge sie mir nennen (super wäre auch eine kurze Beschreibung/ Begründung), gerne stelle ich sie dann mal an dieser Stelle vor. Und auch sonst freue ich mich natürlich weiterhin über Feedback!