Einundfünfzigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der nicht-solidarische-Einwurf

Liebe Einwurf-Lesende,

die Frankfurter Buchmesse ist vorbei. Obgleich doch eigentlich Spanien das Ehrengast-Land der Buchmesse war, stahl die Ukraine die Show. „Ein Ort des Diskurses und des Miteinanders“ sollte die Messe sein, so Bundespräsident Steinmeier, der auch äußerte: „Kein Krieg, das erleben wir ja auch jetzt wieder, ohne… Kampfschriften, ohne hasserfüllte Bücher und Artikel“. Damit allerdings war Steinmeier, siehe unten, wohl näher an der Realität, als ihm selbst lieb oder auch nur bewusst war. Die ukrainische „First Lady“ war persönlich in Frankfurt zugegen, und der ukrainische Komiker und Präsident Selenskyj, der wie seit Beginn des Ukraine-Krieges im olivgrünen T-Shirt auftrat, schloss seine per Video zugeschaltete Rede mit jener ekelig nationalistischen Phrase, mit der seit dem Frühjahr 2022 noch jede seiner Reden endete: „Ruhm der Ukraine!“.

Ein nationalistischer ukrainischer Schriftsteller warnte am letzten Tag der Buchmesse vor „falschem Pazifismus“ (was er auf einen angeblich geforderten bedingungslosen, einseitigen Waffenstillstand der Ukraine bezog, von dem allerdings niemand redete). Dieser Schriftsteller erhielt viel Beifall in den Medien für seine Rede, in der er Russen als „Abschaum“ und „Unrat“ bezeichnete. Wohlgemerkt: dieser Dichter kritisiert nicht etwa russische Politik, nein, er hasst ganz offen und pauschale alle Russen. An diese gewandt äußerte er denn auch liebevoll: „Brennt in der Hölle, ihr Schweine“. Seine Vernichtungsphantasien unterstrich dieser Mensch mit der Behauptung: „Die Russen verüben einen Genozid gegen uns“ – was zwar eine durchaus populäre Legende, gleichwohl aber falsch ist. Im Gegenteil: Russland geht es gerade um eine Bevölkerungserweiterung, denn gegenüber EU und USA, erst recht China, ist Russland mit seinen 140 Millionen Menschen schlicht zu klein für ein Land mit den Großmachtambitionen eines W. Putin, der Glanz und Gloria eines (neo-)zaristischen Reiches wiederherstellen will.

Der übliche üble ukrainische Nationalismus eben, könnte man sagen – allerdings erhielt dieser Mensch, Serhij Zhadan mit Namen, den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“. Ist das nun noch (schlechte) Satire, oder kann das weg? Ironie der Geschichte: Zhadan bekommt seinen Preis laut Jurybegründung ausgerechnet für seine „humanitäre Haltung, mit der er sich den Menschen im Krieg zuwendet“, eine „Symbolfigur des Kampfes der Ukraine um ihre Freiheit“ (so die „taz“, die diese Entscheidung ausdrücklich begrüßt) wird damit geehrt. Ein Preis Freiheit und Humanität? Das ist Orwellsches Neusprech: Gewaltphantasien sind Humanismus, Krieg ist Frieden, Lügen und Hass sind Freiheit und Menschenliebe. „Ich glaube, dass man sagen kann, dass der Hass das Herz eines jeden Nationalismus ist“, äußerte zutreffend Erwin Chargaff (mein vollständiger Text zum Thema steht hier.

Es erstaunt (oder auch wieder nicht), dass es gegen diese Preisverleihung keinen Sturm der Entrüstung in den Medien gab. Apropos Medien: das von mir mitverfasste Buch „Nie wieder Krieg ohne uns – Deutschland und die Ukraine“ ist auch vier Monate nach Erscheinen noch in keiner einzigen Zeitung rezensiert worden, und lediglich eine Handvoll Buchhandlungen trauten sich, es in ihr Sortiment aufzunehmen (in diesem Sinne: Anfragen von Medien und Buchläden sind schärfstens erwünscht!). Das von mir mitverfasste erste Corona-Buch hat es immerhin auf verschlungenen Pfaden bis in die österreichische Parlamentsbibliothek geschafft, aber es ist natürlich dennoch enttäuschend, die Verkaufszahlen an wenigen Händen abzählen zu können. Auch das fragwürdige „durchgeknallt“-Prädikat von Thomas Ebermann zu unserem Buch (in seinem Buch „Störung im Betriebsablauf“) hat die Verkäufe nicht hochschnellen lassen. Im Gegensatz zum Ukraine-Buch wurden die Corona-Bücher aber zumindest noch in einer Teilöffentlichkeit registriert. „Die beste (mir bekannte) deutschsprachige links-libertäre Kritik der Corona-Politik sind die Interventionen von Gerald Grüneklee, die, was den zerrütteten Zustand der politischen Öffentlichkeit gut dokumentiert, im Eigenverlag erschienen sind“ (Hendrik Wallat).

Bei so viel vorauseilender Geschmeidigkeit des Medienbetriebs gegenüber dem Zeitgeist braucht es denn auch wirklich keine repressive Zensur mehr. In feierlichen Reden werden Bücher ja immer wieder als Medium des Diskurses gefeiert – doch die Schere im Kopf, angesetzt vielleicht auch, weil es Angst davor gibt, in vollkommen polarisierten Zeiten in das falsche Lager („Verschwörungsschwurbler“, „Putin-Freund“) gesteckt zu werden, kappt von vornherein jede mögliche Debatte. Das über das medienkritische Buch von Precht und Welzer gleich kübelweise verbaler Unrat von der Medienmeute (anders kann man sie kaum mehr nennen) gegossen wird, darf vor diesem Hintergrund nicht verwundern, legen beide doch den Finger in die Wunde. Dabei ist es eine gewisse Ironie, dass ihr Buch immerhin in einem der größeren, renommierteren Verlage erscheint und auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste stürmte. Aber Precht/ Welzer sind eben auch selbst gewissermaßen zur Medienmarke geworden, was ihnen gegönnt sei, da sie zu den wenigen gehören, die noch fundierte, abweichende Meinungen formulieren und vor Auseinandersetzungen nicht zurückschrecken.

Vor lauter Ukraine hat sich das Coronavirus aus dem Staub gemacht, zumindest aus der öffentlichen Wahrnehmung zurückgezogen. Ohnehin hat man um die Bedingungen, die derartige Pandemien erst hervorbringen, einen großen Bogen gemacht, so dass die nächste Zoonose nur eine Frage der Zeit ist (zu dieser Gefahr siehe hier). Wenn sich „schon jetzt Experten einig sind: Es wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein“ (z.B. Berliner Kurier, 9.7.2022), so kann ich nur sagen: man braucht kein „Experte“ zu sein, um diese Gefahr zu erkennen – ich selbst schrieb schon seit Beginn der Pandemie davon. Neue Erkenntnisse untermauern die Bedrohung: schmelzende Gletscher bringen hunderte bisher unbekannter Bakterienarten ans Licht sowie Millionen potentiell gefährliche Gene, wie aus einer Untersuchung von 21 tibetischen Gletschern hervorgeht. Schmelzende Gletscher und Permafrostböden werden also Viren und Bakterien hervorbringen, die die Tiere der Region anstecken und von diesen auf die Menschen übertragen werden, das ist alles andere als Kaffeesatzleserei. Wann endlich wird sich also die Erkenntnis durchsetzen, dass das Coronavirus keine „Naturkatastrophe“ ist, dass Pandemien also menschengemacht sind, Resultat der ökologischen Zerstörung der Erde?

Zumindest auf der Diskursebene gibt es auffällige Verbindungen zwischen der medialen, öffentlichen Bearbeitung der Corona-Politik wie der Kriegspolitik, die Klammer ist ein „Ausnahmezustand“, der zum Normalzustand wird, bei dem wir „solidarisch“ uns zu isolieren und zu frieren haben. Der hasserfüllte Dichter Zhadan interpretiert seinen „Friedenspreis“ übrigens als „Solidarität der deutschen Gesellschaft mit unserem Land“. Aber „Solidarität“ ist ja nun schon länger Kampfbegriff wie auch Unwort geworden. Viren und Kriege, wie gehen die Menschen damit um? Im deutschen Buchmarkt jedenfalls zeigt sich, dass momentan „alles gefragt ist, was beruhigt und stabilisiert“ (Börsenblatt). Trost und Beistand werden gesucht, wo man sich doch wünschen würde, dass mehr zu Büchern gegriffen würde, die aufklären, die zornig machen und anstacheln zum Widerstand gegen jene unerträglichen Verhältnisse, die Pandemien und Kriege immer wieder hervorbringen. Es ist eine fatale Tendenz: das Stakkato der Kriegsberichterstattung (gegen das Virus, gegen die Pandemie) ist für viele Menschen nicht mehr auszuhalten, was verständlich ist, doch eine daraus resultierende, sich verbreitende, gezielte Nachrichtenvermeidung forciert natürlich einen rückwärtsgewandten Ausstieg aus dem öffentlichen Raum.

Warum eigentlich ist es einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als eine Welt, die nicht von Staaten & Kapitalinteressen dominiert wird? Warum frieren, statt jenen, die dafür verantwortlich sind, ordentlich einzuheizen? Auf allen Seiten des Ausnahmezustandes sind es wieder einmal die Ärmsten, die die massivste Last der Folgen zu tragen haben. Großbritannien will in Bibliotheken nun „Wärmeinseln“ anbieten für Menschen, die sich das Heizen nicht mehr leisten können. Auch das ist natürlich auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein der zunehmenden Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen auf dem Altar privatwirtschaftlicher Profite und staatlicher, geopolitisch motivierter Kriegführungen.

Vor wenigen Monaten noch galten „Prepper“ – Menschen, die sich auf bevorstehende Katastrophen vorbereiten – noch als AnhängerInnen von Verschwörungsmythen. Aber „Verschwörung“ erweist sich einmal mehr als Chiffre für das Noch-Nicht-Vorstellbare, das so lange „Verschwörung“ bleibt, bis es noch nicht eintraf – es gibt zwar bestimmte Bestandteile von Verschwörungstheorien, doch so eindeutig wie dargestellt sind die Trennlinien oft eben nicht. Mittlerweile geben Bundesministerien Empfehlungslisten mit zu bevorratenden Lebensmitteln heraus, auf seriösen Internetseiten werden Campingkocher als Vorbereitung für mögliche Stromausfälle empfohlen. Auch hier allerdings gilt wieder: es sind nicht alle Menschen gleich. Wo die einen froh sind, sich überhaupt ein paar Lebensmittel über das unmittelbar notwendige Maß hinaus leisten zu können (auch in diesen Zeiten gibt es für Transfergeld-BezieherInnen dazu „natürlich“ keine Sonderzahlungen), kaufen die Superreichen global ganze Inseln und riesige Latifundien (was die Preise für die regionale Bevölkerung in die Höhe schnellen lässt) als Rückzugsorte auf: wenn die Welt schon untergeht, dann will man es doch bis zuletzt genießen (Neue Zürcher Zeitung, 14.3.2022).

Trotz alledem war zumindest in Deutschland so viel positiver Staatsbezug, wie seit 2020, so viel demonstrative Unterstützung des Staates, ein so vehementer Ruf nach einem „für uns“ eingreifenden Staat seit 1945 in Deutschland nicht mehr wahrnehmbar. Es ist schon absurd: Staaten produzieren Krisen und werden dann nicht als Ursache gesehen, sondern als Problemlöser betrachtet. Wie bekommen wir den Staat bloß wieder raus aus den Köpfen? Denn es ist höchste Zeit, den Staat zu delegitimieren und – nicht nur was Desertion betrifft – zum zivilen Ungehorsam gegen den Staat aufzurufen. „„Man sagt, das Problem sei ziviler Ungehorsam. Aber das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist die große Anzahl von Menschen auf der ganzen Welt, die dem Diktat ihrer Regierung folgen und deshalb in Kriege ziehen, in denen dann Millionen Menschen wegen diesem zivilen Gehorsam getötet werden“ (Howard Zinn).

Bis dahin aber ist es ein weiter Weg. Es ist derzeit offenbar nur konsequent, dass aus der weithin zu beobachtenden Diskursverweigerung und Schmähung aller Andersdenkenden die einzigen Kräfte als Sieger hervorgehen, die noch – scheinbare – Alternativen anbieten, wenn auch ganz und gar nicht was die prinzipielle Staatsverehrung angeht: es sind die rechten Parteien, die sich nun in diversen Ländern als Freiheits- und Friedensparteien inszenieren, was zwar falsch ist, von vielen mangels anderer Perspektiven derzeit aber offenbar als Option betrachtet wird. Nun ist, wer, und sei es vermeintlich „naiv“, Faschisten wählt, nicht einfach nur „andersdenkend“ oder gar „friedliebend“, sondern eben Faschist. Man muss aber auch sagen, dass die rechten Parteien ihr Spiel gut spielen – sie nutzen die Freiräume, die ihnen durch das Wegtauchen der Linken ermöglicht wurden und greifen gekonnt Enttäuschungen auf. Der aggressive Militarismus und Nationalismus im Ukraine-Krieg, bei dem ganz offen rechte Einheiten mit Waffen beliefert werden, bedeutet ebenfalls eine ideologische Gemengelage, die rechtem Gedankengut entgegenkommt. Die rechten Wahlerfolge in Frankreich, Italien, Schweden oder auch bei der Niedersachsen-Wahl (die AfD hat sich beinahe verdoppelt) sprechen eine deutliche Sprache.

In Schweden wurde jetzt übrigens das Umweltministerium mit dem Wirtschaftsministerium zusammengelegt – auch an solchen mehr als nur symbolischen Entscheidungen wird deutlich, dass die rechten Parteien, ungeachtet ihrer Attitüde, am Ende auch wieder nur dem Kapital die Stange halten. So oder so kommt es den Rechten aber natürlich zugute, dass in Europa so viele Waffen im Umlauf sind wie seit dem Fall der Mauer nicht mehr – zumal die in an die stark rechtsextrem geprägte ukrainische Armee gelieferten Waffen vielfach schlicht an rechtsextreme Zusammenhänge in Mittel- und Osteuropa verkauft werden. Man kann sich leicht ausmalen, was das für die Zukunft für Folgen haben wird.

In diesen Zeiten der Diskursfeindlichkeit ist es denn auch wenig erstaunlich, dass der Glaube in die Mündigkeit des Menschen schwindet. Man sucht nicht die Auseinandersetzung, sondern geht ihr aus dem Weg. So wächst international der Druck auf Bibliotheken, „unliebsame“ Bücher aus den öffentlich zugänglichen Regalen zu räumen, von den Vegan-Büchern des (politisch wirklich unerträglichen) Attila Hildmann bis zu Karl May (die Debatten um Winnetou & Co. nehmen in den „sozialen Medien“ teilweise mehr Raum ein als der Ukraine-Krieg, was bei aller Notwendigkeit der Sensibilisierung für Rassismen doch irritiert). Ein Fachverlag für „Indianistik“, der „Traumfänger Verlag“, schließt nun, da er aufgrund von Vorwürfen der „kulturellen Aneignung“ immer wieder angegriffen wird. Dabei sind im Verlagsprogramm neben teils idealisierenden historischen Romanen auch etliche Bücher indigener AutorInnen zu finden (u.a. Inuit und Lakota), und der Verlag unterstützt u.a. indigene Reservate. Vielleicht darf man als „Weißer“ mit solchen Büchern nun kein Geld mehr verdienen – wenn dies allerdings nun anrüchiger ist als etwa die Milliarden, die Rüstungskonzerne scheffeln (deren Waffen übrigens oft genug gerade gegen indigene Bevölkerungen eingesetzt werden), dann sind hier mindestens die Maßstäbe schief.

Wo bleibt das Positive? Es gibt sie noch, die guten Buchhandlungen, wenn auch – was die Pflege eines durchaus kritischen, kontroversen Sortiments angeht – eben immer weniger. So wurden mit dem Deutschen Buchhandlungspreis 2022 auch Buchläden wie „Die Buchkönigin“ (Berlin), „Sputnik“ (Potsdam), „BiBaBuZe“ (Düsseldorf) ausgezeichnet, die auch über den Mainstream hinaussehen. Glückwunsch!

Die heutigen Neubücher sind die Gebrauchten von morgen, das eine funktioniert nicht ohne das andere. Gebrauchtbücher stehen aber auf jeden Fall für Nachhaltigkeit, und hier empfiehlt sich Der Ziegelbrenner, dessen Vorläuferprojekt Anares 2009 immerhin der erste klimaneutrale Buchvertrieb im deutschsprachigen Raum war.

In diesem Sinne: lebt & lest! Der Ziegelbrenner

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