Achtunddreißigster Einwurf des Ziegelbrenners

Der Vorweihnachts-Lockdown-Einwurf

Weihnachten beginnt dieses Jahr früher, heißt es. Erstmal mit einem „Lockdown light“, um überhaupt (möglicherweise) Weihnachten feiern zu können. Dafür gibt´s das ganze Jahr gebrannte Mandeln, wegen ausfallender Jahrmärkte & Weihnachtsmärkte. Die Menschen lassen sich ja einiges zumuten – ein Jahr oder Weihnachten aber, da fürchtet die Regierung wahrscheinlich einen Aufstand der Wütenden. Nun soll der Kaufrausch möglichst auf mehr Wochen verteilt werden, irgendwie will man das Fest nicht verschieben. Kaufen sollen die Menschen ja (nur keine Kultur genießen, siehe nächsten Absatz), aber sich dabei möglichst nicht begegnen. Ob mit Maske oder ohne. Quadratur des Kreises: offenkundig gehen absolute Sicherheit und ungehemmter Weiterbestand des wachstumsbasierten Kapitalismus nicht zusammen. Was ja eine produktive Erkenntnis sein könnte. Weihnachten ohne Kaufrausch böte zudem die Gelegenheit, mal einen anderen Blick auf diese christliche Festtradition zu werfen. Immerhin erzählt die Gründungslegende von einem Paar, dass – obgleich die Frau obendrein hochschwanger ist – überall abgewiesen wird und sich schließlich auf der Flucht befindet. So lässt sich die Weihnachtserzählung auch als Plädoyer für Humanität und gegen die Abschottung von Flüchtenden verstehen.

Wenn schon schenken, dann Bücher. Es sind schließlich mit Abstand die besten Geschenke. Ups, Abstand, das Wort gehört ja eigentlich auf die don´t-Liste. „Unsere Gäste sind mit Abstand die besten“, so ist es beispielsweise anbiedernd-doppeldeutig an Restaurant-Türen zu lesen. Geholfen hat alles nichts, auch die in vielen Kulturbetrieben & Gaststätten erst kürzlich installierten teuren Raumlüftungsanlagen haben nur weitere Schulden mit sich gebracht. Restaurants werden kurzerhand der Unterhaltung zugerechnet, und als solche fallen sie unter das regierungsamtlich beschlossene absolute Unterhaltungsverbot. Eine Kneipe hat Galgenhumor: „Sonntag-Donnerstag Ruhetag, Freitag & Samstag geschlossen“, steht in großen Lettern am Fenster. Wenigstens ist nun mehr Zeit zum Lesen, könnte der Buchhändler sarkastisch sagen. Wo das Buch ansonsten eine kulturelle Ergänzung ist, ist es nun Ersatz zum geschlossenen öffentlichen Kulturbetrieb.

Was bleibt nun sonst noch? Beten und arbeiten! Die Kirchen und Moscheen bleiben weiterhin geöffnet, obwohl sich mehr Menschen bei Gottesdiensten und derlei Heiligenverehrungsritualen infiziert haben als in Gasthäusern und Museen. Aber frömmelnd arbeitet es sich vielleicht besser. Sie nehmen uns die Vergnügungen und nennen es „Verantwortung“. Sie betreiben Vereinzelung und predigen „Abstand ist die neue Solidarität“. Ein riskantes Spiel, schließlich könnten mangels Zerstreuung der einen oder dem anderen nun Gedanken kommen: z.B., dass ungeachtet der gegenwärtigen Pandemie, der Kapitalismus das gefährlichste Virus ist. Oder dass diese Pandemie wie auch die künftigen – sie lauern bereits, siehe die dänischen Nerze – hätte verhindert werden können. So oder so wird sich im Zuge der Virus-Maßnahmen die globale Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnen, kommende soziale Kämpfe & Bürgerkriege werden die Folge sein.

Schon das zeigt: alle Maßnahmen werden nicht aufgrund neu entdeckter staatlicher Fürsorge den Individuen gegenüber getroffen, sondern, um die „systemrelevanten“ Wirtschaftsbereiche weiter in Gang zu halten – das sind jene Branchen, die eine professionelle, finanzkräftige Lobby haben. Denn am Beitrag zur Gesamtwirtschaft allein kann es nicht liegen, immerhin tragen Kultur und Gastronomie sowie Fremdenverkehr keinen unwesentlichen Beitrag zum Wirtschaftshaushalt bei. Übrigens, in der Luft- und Raumfahrt, die mit Milliardensubventionen unterstützt wird, arbeiten in der BRD gerade mal gut 100.000 Menschen – mehr als 1,5 Millionen dagegen im Kultursektor. Selbst Arbeitsplätze taugen also nicht als Argument für die gerade in der Corona-Ära absurd ungleiche Unterstützung. Vielmehr wird das Virus offenkundig für einen gigantischen technologisch-gesellschaftlichen Umbau genutzt. Was bleibt? Z.B. erneut mein Buchhinweis: www.ziegelbrenner.com/produkt/corona-und-die-demokratie-eine-linke-kritik/. Auch Rolf Gössner weist übrigens in seiner neuesten Publikation „Menschenrechte und Demokratie im Ausnahmezustand“ auf dieses Buch hin.

Der Buchhandel, immerhin, profitiert offenbar sogar vom Coronavirus. Nach einer neuen Untersuchung der GfK greift jede*r Fünfte (21 Prozent) seit Ausbruch der Corona-Pandemie häufiger zum Buch. Bemerkenswert: die größten Zuwächse zeigen sich bei den jungen Leser*innen: In der Altersgruppe 10 bis 19 liest ein Drittel (32 Prozent) häufiger, bei den 20- bis 29-Jährigen ein Viertel (26 Prozent), wobei in dieser Studie allerdings nicht differenziert wurde nach sozioökonomischer Herkunft – hier sind deutliche Unterschiede zu vermuten. Profitieren konnten dabei, vor allem während des Lockdowns, auch e-books. Ein Wermutstropfen ist die zunehmende Umsatzverlagerung ins Internet. Immerhin:  laut GfK haben 17 Prozent der Deutschen während der Corona-Pandemie erstmals von der Möglichkeit erfahren, Bücher bei ihrer Buchhandlung online oder per Telefon bestellen zu können – hoffen wir also, dass am Ende nicht wieder das größte Stück vom Kuchen bei dem Konzern landet, der so ähnlich heißt wie ein großer Fluss.

Teils ist das Internet derzeit auch schlicht die einzige Möglichkeit der Literaturversorgung. So sind derzeit erneut Frankreichs Buchläden geschlossen – und damit Bücher nun nicht einfach im Supermarkt gekauft werden, wurden dort (wie es heißt, um den klassischen Buchhandel zu schützen) die Buchsortimente schlicht verboten. Eine zweifelhafte Aktion, die am Ende nur dem Internethändler Amazon nutzt. Angesichts des zunehmenden Onlinehandels zeigt sich besonders krass die Absurdität privatisierter Paketdienste, die dann kolonnenweise alle die gleichen Strecken abklappern (nun auch noch Amazon-Paketautos!) und beim Ausliefern die Radwege zuparken, von den dortigen Arbeitsbedingungen einmal abgesehen. Ein Widerspruch, in dem natürlich auch ich selbst mich beständig bewege, seit der von mir mit betriebene stationäre Buchladen mangels Interesse eingestellt wurde. So wird das Internet genutzt, Ruhezonen außerhalb der Online-Sphären zu organisieren (das analoge Buch!) – auch dies eine durchaus widerspruchsvolle Angelegenheit.

Die in Corona-Zeiten massiv forcierte Digitalisierung muss dabei grundsätzlich kritisch begleitet werden. Die Onlinekonzerne sind die größten finanziellen Profiteure der letzten Monate, sie bauen damit ihre (auch politische) Machtstellung aus. Mehr Digitalisierung für alle & alles kann dabei nicht die einzige Antwort sein. So ist der Druck auf kleine Buchläden und Verlage, nun die digitalen Anstrengungen zu erhöhen, schon jetzt beträchtlich. Die kleinen Betriebe wären sonst bald nicht mehr wettbewerbsfähig, wird gedroht. Bis aber beispielsweise eine eigene Homepage auch nur im Entferntesten so attraktiv wird wie eine der großen Player braucht es immense finanzielle und personelle (d.h. am Ende eben auch abermals finanzielle) Ressourcen. Diese Mittel haben „die Kleinen“ meist nicht, die in diesem Karussell also abermals – und verstärkt – abgehängt zu werden drohen. Mitmachen, ohne zu wissen, wie und wovon, oder untergehen – eine zweifelhafte Alternative, die da von den Propagandisten der digitalisierten Gesellschaft (und Ökonomie) aufgemacht wird. Der Buchhandel sollte daher vor allem die Begrenzungen des Digitalen nutzen. Persönliche Beratung, ein unverwechselbares (und nicht durch schiere Masse erschlagendes) Profil, kultureller „Mehrwert“ durch örtliche Veranstaltungen, direkte Kommunikation, Sozialität, das – marketingmäßig gesprochene – besondere „Kundenerlebnis“, das alles sind Faktoren, die kleinere Läden für sich gegenüber den Großen durchaus nutzen konnten, den Digitalaposteln zum Trotz.

Hier ist ein möglicher Wandel sichtbar, denn die bessere Bindung an die Kundschaft, die sich in stabileren Umsätzen gegenüber den Buchhandels-Filialketten zeigt, deutete sich bereits ab 2018 an, also vor Corona. Das ist auch deshalb bedeutend, weil kleinere Buchläden oft auch die Trüffelschweine sind, die die Produktionen kleinerer Verlage aufspüren und ins Sortiment nehmen, also für Bibliodiversität sorgen. Dies alles geht nur lokal, nicht digital. Online, das ist Standardisierung und Langeweile, lebendige – und buchstäblich lebbare, erfahrbare – Vielfalt gedeiht dagegen in der (noch) nicht normierten Buchladen-Landschaft vor Ort. Das Lokale ist der wahre Ort der Innovationen, des kreativen Austausches und der kulturellen Entdeckungsreisen. Das Leben ist mehr als die Summe der Streamings, Downloads und durchgeführten Videokonferenzen. Aber dies alles ist eben auch das Resümee eines Menschen, der aus einer literaturliebenden Stadt kommt, jener Stadt mit der größten Buchladendichte im Land.

Bücher werden im Übrigen offenbar zunehmend als Gefahr wahrgenommen und daher auch zunehmend bedroht. Der Verleger des Oekom-Verlages etwa musste 30.000 Euro Prozesskosten vorlegen, um sich – in diesem Fall letztlich erfolgreich – einer Klage der Obstbauwirtschaft Südtirols zu erwehren. Solche sogenannten SLAPP-Klagen, bei denen es in erster Linie darum geht, unliebsame Kritik zu zermürben (d.h. vorrangiges Ziel ist es gar nicht einmal, Prozesse zu gewinnen) nehmen derzeit in diversen Ländern zu, beobachtet die EU-Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatovic. Auf der Liste der 100 meistentfernten Bücher aus öffentlichen Bibliotheken der USA – entfernt, weil Menschen daran „Anstoß“ nahmen oder auch Druck ausübten – stehen neben Orwells „1984“, Huxleys „Brave New World“, Twains „Huckleberry Finn“ (ja, tatsächlich!) stehen Werke international zu recht gefeierter Autorinnen wie Toni Morrison, Barbara Ehrenreich, Marjane Satrapi, Alice Walker, Isabel Allende, Jeannette Winter und Margaret Atwood. Ja, auch diese Form der Literatur-Denunzierung nimmt zu. Viel davon geht von der politischen, christlichen Rechten aus – erstaunlich, dass, siehe oben, nicht gleich die Weihnachtsgeschichte verboten wird.

Nun aber der kleine Werbeblock:

In meiner Geschenktipp-Rubrik sind einige interessante Bücher versammelt, siehe www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/geschenktipps-fuer-viele-anlaesse/. Dass diese Bücher nicht unbedingt ganz neu sind, macht nichts – schließlich ist mein Schwerpunkt ja der Handel gebrauchter (antiquarischer) Bücher. Ein Großteil meines Sortimentes ist im Übrigen auch nach Jahrzehnten noch – leider – aktuell, wenn ich beispielsweise an Themen wie Umweltzerstörung, Klimawandel, Flucht, Ausbeutung, Konkurrenz und Ellenbogengesellschaft, Privatisierung, Abbau sozialer Sicherungssysteme und soziale Spaltung sowie Vernichtung bezahlbaren Wohnraums denke.

Unter dem Corona-Regime leiden besonders die Ärmsten. Die Mietpreise allerdings stiegen auch in den letzten Monaten weiter, und so bedarf es wenig Phantasie, um zunehmende städtische Verdrängungsprozesse vorauszusagen. Ich will daher auf die Bücher „Ware: Wohnen (www.ziegelbrenner.com/produkt/ware-wohnen-politik-oekonomie-staedtebau/) und „Strategien gegen Gentrifizierung“ (www.ziegelbrenner.com/produkt/strategien-gegen-gentrifizierung/) und natürlich auf den genialen Film „Die Strategie der Schnecke“ (www.ziegelbrenner.com/produkt/die-strategie-der-schnecke-la-estrategia-del-caracol/).

Ein schöner Geschenktipp sind auch Vintage-Fotografien. In meinem Katalog zur Bibliothek Günter Zint sind etliche (signierte!) Fotografien sowie interessante Fotobücher etc. aus dessen Sammlung zusammengestellt (www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/buecher/bibliothek-guenter-zint/).

Neben den Büchern führen andere Medien in meinem Katalog eher ein Schattendasein. Warum nicht mal zum Hörbuch greifen (www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/hoerbuecher/)?

Oder analoge Klassik-LiebhaberInnen mal mit einer Schallplatte erfreuen (www.ziegelbrenner.com/produkt-kategorie/lps/schallplatten-klassik/)?

Das schönste: bis 31.12. gilt noch mein 5-Euro-Gutschein – wer antiquarische Artikel für mindestens 20 Euro bei mir bestellt, kann einen solchen Gutschein einlösen (solange Vorrat reicht)!

Ansonsten empfiehlt sich natürlich weiterhin der Gang in die Buchläden, solange es sie noch gibt (und sie geöffnet haben dürfen). Denn es gibt sie noch, die guten Buchhandlungen.

Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Die LeserInnen meiner Einwürfe empfehlen beispielsweise die Stadtteilbuchhandlung ist „Bartz“ in Bonn-Beuel (Gottfried-Claren-Str. 3). Als solche hat sie keinen klaren Schwerpunkt, sondern ein Vollsortiment. Gelobt wird ein versiertes, gut informiertes Team, dass den Blick auf gute Veröffentlichungen nicht durch Massenware verstellt, was bei der Sortimentsbreite eine – gut bewältigte – Herausforderung ist.

Eine weitere Empfehlung ist der Buchladen „Proust“ in Essen (Am Handelshof 1). Man merkt, dass die BetreiberInnen hier einen Laden betreiben, in den sie selbst jeden Tag gerne gehen würden, wenn sie die Kundschaft wären. „Proust“ ist ein Laden, der gegenüber den großen Buchhandelsketten ein klar profiliertes, handverlesenes Sortiment hat. Dazu gibt es ein Café sowie zahlreiche Veranstaltungen – eigentlich jedenfalls, wenn nicht gerade Pandemie ist.

Ravensburg (Baden-Württemberg) hat keine große Hochschule oder Uni, was gemeinhin Faktoren für eine gewisse Buchladenkultur sind. Dennoch gibt es hier schon seit bald 30 Jahren „Ravensbuch“ (Marienplatz 34), mittlerweile sogar mit Filialen in kleineren Städten der Umgebung. Auch hier finden „normalerweise“ regelmäßig Veranstaltungen statt. Obgleich die Buchhandlung keine politische Buchhandlung im engeren Sinn ist (was die Stadt sicher auch nicht hergeben würde), positionieren sich die InhaberInnen klar gegen Rechts wie auch gegen die Machwerke der Verlages dieses Spektrums.

In der Kleinstadt Wildeshausen (Niedersachsen) gibt es die Buchhandlung „bökers“ (Burgstr. 1), die vor allem durch ihren eigensinnigen Gründer – Chef mag er sich nicht mehr nennen, er verzichtet auf Lohn und wünscht sich eher kollektives arbeiten – bekannt ist. Zudem will der Nicht-Chef, der schon lange umweltengagiert ist, dass der Laden plastikfrei wird. Ansonsten hat der Laden keine besonderen Schwerpunkte, es ist für die literarische Nahversorgung allemal gut, dass die 20.000-Menschen-Stadt überhaupt einen Buchladen hat. Entsprechend engagiert man sich in der Initiative „genialokal“.

Und, was ist eure Lieblingsbuchhandlung?

Alles gute für das Restjahr & ebenso natürlich für das, was da kommt.
Lebt & lest schön!
Es grüßt
Der Ziegelbrenner