22. Dezember 2020 Neununddreißigster Einwurf des Ziegelbrenners Der Weihnachts-Lockdown-EinwurfDas milliardenschwere staatliche Konzernförderprogramm für die so gar nicht notleidende (und gewiss auch nicht systemrelevante) Firma Amazon geht in die nächste Runde: willkommen im Lockdown! Was würden wir bloß ohne das Internet machen? Anders herum: wir wäre man mit der Pandemie in einer nicht-digitalisierten Gesellschaft wohl umgegangen? Falsche Frage – Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, frohlockt bereits über die einzigartige Chance, die das Virus für einen Digitalisierungsschub mitbringt (nein, keine Verschwörungserzählung – einige wenige „Qualitätsmedien“ wie “Die Zeit“, „Deutschlandfunk“ und die schweizerische „Handelszeitung“ berichteten darüber). Schwab & Konsorten hoffen auf einen „Neustart“. Und eine digitalisierte Gesellschaft, die braucht ja nun auch keine Kultur mehr. Ein Schelm – respektive eine Schelmin -, der, oder die, Böses dabei denkt.Einen „Neustart“, den braucht es auch. Nur ganz anders, als Schwab & Co. dies wollen. Einige Stichworte sind nachzulesen im von mir mitverfassten Corona-Buch www.ziegelbrenner.com/produkt/corona-und-die-demokratie-eine-linke-kritik/.Wenn Klaus Schwab sich nun übrigens vom Neoliberalismus verabschieden will, so kann ich darauf hinweisen, mich von Beginn meines Vertriebes an mit meiner Buchauswahl vehement gegen diesen fatalen wirtschafts- und sozialpolitischen Irrweg positioniert zu haben – so auch gegen die Privatisierung des Gesundheitssektors, die uns in der Pandemie nun gewaltig auf die Füße fällt. Hinterher ist mensch immer klüger – damit ihr dies schon jetzt seid: mein Buchsortiment bietet reichlich Bücher, die aufrütteln, Literatur gegen das herrschende Falsche und Anregungen zu dessen Überwindung und für eine neue, humane und ökologische Zukunft.Um, wo die stationären Buchläden nun staatlicherseits wieder geschlossen wurden, erleichtere ich Eure – wem die Anrede zu persönlich ist ersetze durch Ihre – literarische Grundversorgung noch bis zum 31.12. mit einem Büchergutschein: jeder Einkauf antiquarischer Materialien über meine Homepage ab 20 Euro Warenwert wird durch einen 5-Euro-Gutschein reduziert! Also, besorgt Euch den Lesestoff für die Zeit zwischen den Jahren und danach. Wenn es noch Weihnachten ankommen soll: ich versende ab sofort Eure Bestellungen ohne Mehrkosten als Brief, bei Last-Minute-Bestellungen am 22. und 23.12. ist allerdings nur der Expressversand realistisch, ich muss dafür eine Versandpauschale von 16 Euro in Rechnung stellen. Vermerkt dies bei Bestellungen entsprechend.Was bleibt nun sonst noch? Immerhin droht „das härteste Weihnachten, dass die Nachkriegsgenerationen je erlebt haben“, so NRW-Ministerpräsident Laschet. Jemand twitterte ironisch „Habt ihr auch schon so Angst vor Weihnachten? In zugigen Baracken sitzen, auf dem Einmalgrill nur eine aufgespießte Ratte, zum Trinken Wasser aus Pfütze“. Hat Laschet schlicht Angst, dass die Geschenke nicht üppig genug ausfallen, wo doch keiner so gerne mit Maske shoppen mag? (corona.ifhkoeln.de/). Da hilft auch die temporär gesenkte Mehrwertsteuer, oh Wunder, nur wenig. Soll Laschet sich doch in der Kirche Trost suchen, immerhin ist der Mann im ZK der deutschen Katholiken (ja, das heißt so) und meint ernsthaft, dass Religionen Medizin gegen Ideologien anbieten, Ja, die Kirchen und Moscheen bleiben voraussichtlich weiterhin geöffnet, obwohl sich mehr Menschen bei Gottesdiensten infizierten als in Cafés, Restaurants, Konzerthäusern, Kinos, Theatern, Museen, Galerien, Buchläden.Diejenigen – auch aus linken Bewegungen -, die noch immer so ungebrochen dem Corona-Regime die Treue halten, sollten sich einmal fragen, ob diese doch sehr klare Prioritätensetzung wirklich bloß ein Zufall oder ein Kollateralschaden ist. Zumal schon jetzt absehbar ist, dass global wesentlich mehr Menschen aufgrund der Corona-Maßnahmen sterben werden als am Virus selbst, wenn wir nur einmal an die zig Millionen prekär Beschäftigten im Trikont denken (und an Not zu denken, dafür bietet sich Weihnachten ja nun wirklich an), denen nur buchstäblich jede Lebensgrundlage entzogen wird. Doch die„Freiheit, zu widersprechen“ (Friedenspreisträger Amartya Sen) befindet sich ja ohnehin im Sinkflug, Sen spricht treffend von einer „Pandemie des Autoritarismus“. Das Feld der Kritik haben die gesellschaftskritischen Kräfte den Rechten überlassen, die dieses Vakuum auf ihre Weise zu füllen wissen. Und, liebe Linke, nun einfach gegen Rechte zu demonstrieren bedeutet noch lange keine Wiederaneignung der eigenen, geschärften Kritikfähigkeit.Was gibt´s neues im Buchhandel? Den Riesen mit dem „A“ erwähnte ich einleitend ja schon. Er beherrscht den Buchmarkt. Zwar erwies sich der deutschsprachige Buchhandel 2020 insgesamt als erstaunlich krisenresistent, gerade kleine, unabhängige Buchläden profitieren von bemerkenswert treuen Kund*innen. Bisher jedenfalls, den Bahnhofsbuchhandel einmal ausgenommen, der auf die literarische Nahversorgung der Reisenden setzt, die nun wegbleiben. Doch nun wird die marktbeherrschende Stellung von Amazon weiter ausgebaut, denn die Regierenden haben keinerlei Konzepte, dem Sog ins Internet in Pandemie-Zeiten entgegenzuwirken. Wo Laufkundschaft seit Monaten schwindet, beklagen auf der anderen Seite Onlinekonzerne Lieferengpässe. Ein Kollateralschaden? Oder ist diese Entwicklung gar gewollt auf dem Weg in die digitalisierte Gesellschaft, die doch längst mehr Drohung als Verheißung ist? In Österreich etwa, wo Waffengeschäfte als „systemrelevant“ im Gegensatz zum Buchhandel offenbleiben dürfen – der seinerseits nicht einmal kontaktlose Abholstationen einrichten darf -, bekam die Buchbranche nun eine Soforthilfe: das Geld soll in die weitere Digitalisierung fließen.So müssen sich die Läden selbst helfen. In Großbritannien haben kleine Buchläden die Seite „bookshop.org“ gegründet – werden über dieses virtuelle Schaufenster Bücher gekauft, so werden diese direkt an die Kund*innen geschickt, der örtliche Buchladen aber bekommt 30% der Einnahmen, was in Deutschland auch ungefähr die durchschnittliche Marge für den stationären Buchhandel ist. Support your local bookshop – die Grundidee, Kund*innen über den Onlineshop in die Läden zurückzuholen, teilt auch die deutsche, genossenschaftlich organisierte Seite „geniallokal.de“, an der inzwischen über 600 Buchläden teilnehmen. Angesichts des von Amazon massiv mit forcierten Schnäppchen-Wahnsinns „Black Friday“ – er wurde dieses Jahr in Frankreich verschoben, um die geschlossenen lokalen Geschäfte nicht noch weiter gegenüber Amazon ins Abseits zu stellen – ist die Idee der Schweizer Buchhandelskette Orell Füssli vielleicht nachahmenswert. Die Firma möchte einen solidarischen Einkauf namens „Fair Friday“ zu etablieren. Ob das reicht, dem Riesen das Wasser abzugraben, muss abgewartet werden.Krisenzeiten sind Lesezeiten. Eine Studie der Marktforschungsgesellschaft GIM zu Jugend, Information, Medien (kurz: JIM) hat gezeigt, dass mehr Jugendliche zu Büchern greifen und jene, die ohnehin schon lesen, nun im Durchschnitt nochmals länger lesen – vor allem die Mädchen, während die Distanz zu den lesemuffeligen Jungs weiter wächst, zudem ist der Lesekonsum stark von der sozialen Herkunft abhängig. Noch mehr erhöht als die Lesezeit hat sich allerdings gegenüber 2019 bei Jungs und Mädchen die Internetnutzungsdauer (www.g-i-m.com/de/unternehmen/ueber-uns/publikationen/news/news-2020/jim-studie-2020-von-gim-durchgefuehrt.html).Der Buchhandel sollte also nicht zu früh frohlocken: der Kampf um die Aufmerksamkeitsökonomie geht weiter, nicht zuletzt angesichts der massiv forcierten Digitalisierung im Corona-Zeitalter.Krisenzeiten sind Lesezeiten, ja. Doch was lesen die Menschen? Jedenfalls keine Reiseführer, und wenn, dann solche über Naherholungsgebiete und Wanderurlaube. Kinder- und Jugendbücher laufen dieses Jahr besonders gut, wenig erstaunlich, wenn viele andere Freizeitaktivitäten zwangsweise wegfallen, auch wenn eine Nachhaltigkeit der Leselust natürlich wünschenswert wäre. Der Lockdown verstärkt die fatale Tendenz, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und sich daheim einzuspinnen, es gibt auch bereits einen Anglizismus dazu, „Cocooning“. Gekauft werden Kochbücher, Ratgeber zum schöneren Wohnen, Ideen für Heimwerk-Projekte. Von Buchläden ist zu hören, die Menschen suchten „leichte Kost“, „Bücher für die Seele“, Literatur, die in diesen tristen Zeiten tauglich ist, eine/n mal wieder zum Lachen zu bringen. Bücher, passend zum Online-Yoga und zum „Kraft für die Seele“-Tee, der bei manchen Buchläden inzwischen an den Kassen steht. Schließlich propagiert die Buchbranche selbst viel zu sehr den Satz „Lesen macht glücklich“, setzt also auf den Wohlfühlfaktor. Doch kann das alles sein? Lesen als Beruhigungspille? Lesen als Rückzug, als Trostpflaster, in Zeiten, in denen es anstünde, Mußemomente für das Nachdenken über Lebensweisen jenseits eines fatalen „Zurück zur Normalität“ oder „Vorwärts in die Digitalisierung“ zu nutzen? Der Schriftsteller Ilija Trojanow jedenfalls notierte: „Ich lese, um überrascht zu werden, um konfrontiert zu werden, um geschockt zu werden“. In diesem Sinne – Achtung, Werbeblock! – hat Der Ziegelbrenner Euch auf jeden Fall einiges zu bieten!Bei allem digitalen Hype eine beruhigende Botschaft: es gibt sie noch, die guten Buchhandlungen. Über 100 von Ihnen wurden dieses Jahr für den Deutschen Buchhandlungspreis nominiert. Darunter auch etliche, die von den Einwurf-Leser*innen schon empfohlen wurden, die ich selbst bereits besuchen konnte oder mit denen ich früher teils langjährige Geschäftsverbindungen hatte, so u.a. artes liberales (Heidelberg) Provinzbuch (Esslingen), Wist (Potsdam), Storm (Bremen), ABC Buchladen (Kassel), Buchladen am Freiheitsplatz (Hanau), Georg Büchner Buchladen (Darmstadt), die schatulle (Osterholz-Scharmbeck), BiBaBuZe (Düsseldorf), Eulenspiegel (Bielefeld) , Kafka & Co. (Detmold), Blaue Blume (Kaiserslautern), Rote Zora (Merzig). Ihnen allen meinen Glückwunsch, insbesondere auch dem Kinderbuchladen Serifee (Leipzig), dem ich eine prägende Begegnung verdanke.Ja, es gibt sie noch, die guten Buchläden. Wenn sie denn einmal wieder offen haben werden. Da ist die Buchhandlung „Leselust“ in Berlin (Waidmannsluster Damm 181), die nicht mit dem Deutschen Buchhandlungspreis bedacht wurde, jedoch u.a. in der „geniallokal“-Initiative mitwirkt. Der Kabarettist Arnulf Rating verriet mir, dass er bei mir keine Bücher bestellt, weil er dort kauft. Die InhaberInnen legen auf Frauenthemen wert, haben aber „darüber hinaus auch immer interessante Zeit- und zeitkritische Lektüre zu bieten“.Apropos „Frauenthemen“: in der frisch gegründeten Berliner Buchhandlung mit dem programmatischen Namen „She said“ (Kottbusser Damm 79) wird das Spektrum einer klassischen Frauenbuchhandlung erweitert um queere Autor*innen. Männer sind hier übrigens ausdrücklich erwünscht. Schon im Vorfeld waren mehrere Einwurf-Leser*innen sehr gespannt, schließlich ist die Gründerin als Bloggerin keine Unbekannte. Das Initial war für die Inhaberin übrigens das Buch „Die Glasglocke“ von Sylvia Plath. Ein schönes Beispiel dafür, was Bücher alles bewegen können.Weiter geht der Blick in die Schweiz, und den ersten Hinweis habe ich – ausgerechnet – von der wirtschaftsliberalen „Neuen Zürcher Zeitung“ (das kommt davon, wenn ihr mich nicht mit genügend Ladentipps versorgt!). 36 Jahre lang wurde die Buchhandlung „Calligramme“ in Zürich (Häringstraße 4) von einer Frau geführt, die in ihrem Stadtteil als Original galt. Die NZZ spricht vom „geordneten Chaos“, vom engen Kontakt zur Stammkundschaft, die das Sortiment entscheidend mitprägte. Entgegen marktwirtschaftlichen Dogmen hat sie dort viele alte, im regulären Buchhandel inzwischen längst vergriffene Bücher stehen. Die nunmehrigen neuen Inhaber*innen wollen den Charakter des Ladens beibehalten.Aus Basel stellt ich bereits „Librium“ vor, dieses mal ist „Olymp & Hades“(Neubadstraße 140) vor. Benannt ist der Laden nach dem Herrscher über die Unterwelt aus der griechischen Mythologie und Griechenlands höchstem Berg, was inspiriert wurde durch den einstigen, mehrstöckigen Sitz der Buchhandlung. Es gibt relativ viele mehrsprachige Bücher, weniger in griechischer, dafür umso mehr in englischer und französischer Sprache, schließlich ist der Laden eine „internationale Quartierbuchhandlung“. Außerdem gibt es ein ausgewähltes Sortiment an Papierwaren und Geschenkideen. Die Veranstaltungsreihe „Lesezirkel“ pausiert derzeit leider, aus wenig erstaunlichen Gründen.Und, was ist eure Lieblingsbuchhandlung?Lauter als sonst noch möchte ich Euch zurufen: lest, was das Zeug hält. Vor allem jene Bücher, die nicht der Selbstbestätigung dienen, sondern zum Selberdenken anregen (von „querdenken“ möchte ich wahrlich nicht mehr sprechen), Bücher, die Biss haben, die zornig machen und die über ganz & gar unzulängliche, ja unerträgliche Verhältnisse hinausweisen. Bücher die ihr – nicht nur, aber auch – beim Ziegelbrenner bekommt!In diesem Sinne grüßtDer Ziegelbrenner